Posts Tagged ‘Eigenart’

Essai 196: Über das Besondere am Sonderbaren

4. August 2020

Ist euch das auch schon mal aufgefallen, wie ähnlich sich im Deutschen Begriffe sind, die etwas Merkwürdiges beschreiben, und solche, die etwas Bemerkenswertes bezeichnen? Etwas Seltenes ist besonders, aber etwas Seltsames ist sonderbar. Jeder wäre gern wunderbar und einzigartig, aber wunderlich und eigenartig möchte niemand sein. Eine Eigenschaft ist ein neutraler Begriff, aber eine Eigenheit ist es nicht. Das ist doch ziemlich komisch.

Was ist überhaupt normal? Im medizinischen Sinne heißt „normal“ in der Regel „im gesunden Bereich“. Im sozialen Kontext gibt es bestimmte Normen und „normal“ ist, wer diesen entspricht. „Normal“ kann aber auch ein Synonym für „durchschnittlich“ sein. Das Bemerkenswerte sowie das Merkwürdige weichen davon ab und fallen auf. Und so gesehen ist es sinnvoll, dass alles, was sich von der Norm unterscheidet, sowohl besonders als auch sonderbar ist. Im Grunde sind es wohl zwei Seiten einer Medaille: Das Besondere sorgt für Bewunderung, das Sonderbare für Verwunderung.

Mein Eindruck ist, dass viele Menschen etwas Besonderes sein wollen – gerade die Menschen, die nicht sonderlich sonderbar sind, sehnen sich häufig danach, sich vom Durchschnitt abzuheben. Ich für meinen Teil zähle mich eher zu den seltsamen, eigentümlichen, wunderlichen Zeitgenossen und wäre gern ein bisschen weniger seltsam. Vielleicht ist es auch einfach eine Eigenart der Menschen, dass sie immer das sein wollen, was sie nicht sind? Oder es geht um Bewunderung und (positive) Aufmerksamkeit – das scheinen ja die meisten Menschen anzustreben und zu genießen.

Das kann ich ehrlich gesagt nicht so ganz nachvollziehen. Aufmerksamkeit ist mir in jeder Form unangenehm – egal ob als Bewunderung oder Verwunderung. So oder so bekomme ich das Gefühl, dass ich nicht so wirklich zur Norm dazugehöre, ohne dass ich irgendetwas Besonderes oder Sonderbares gemacht habe – soweit ich weiß. Und das fühlt sich merkwürdig an.


Wie seht ihr das? Seid ihr eher besonders, sonderbar oder normal? Mögt ihr es, aufzufallen? Schreibt es mir in die Kommentare, ich bin gespannt. 🙂

Essai 192: Über das richtige Maß an Auffälligkeit

28. Dezember 2019

Es soll Menschen geben, die gern im Mittelpunkt stehen. Diese Zeitgenossen genießen es dann tatsächlich, die volle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, von allen beachtet zu werden. Sie verhalten sich dementsprechend auffällig, damit man sie stets bemerkt. Zu diesen Menschen gehöre ich nicht. Ganz und gar nicht.

Ich empfinde es als hochgradig gruselig, wenn ich ständig im Mittelpunkt stehe. Also, ich als Person – wenn ich einen Vortrag, eine Präsentation oder einen Workshop halte oder als Schauspielerin auf der Bühne stehe und eine Rolle spiele, ist das etwas anderes. Denn dann stehe nicht ich im Fokus, sondern der Inhalt meiner Präsentation oder des Theaterstücks. Und darauf kann ich mich vorbereiten. Aber wenn ich als Person im Zentrum der Aufmerksamkeit stehe, hasse ich das wie die Pest.

Dann denke ich, ich müsste jetzt irgendwas Interessantes, Fantastisches, Großartiges tun, um die mich Anstarrenden nicht zu enttäuschen, merke dann, dass mir überhaupt nichts Krasses einfällt, bin überzeugt davon, alle zu enttäuschen, und fühle mich schrecklich. Deswegen halte ich mich lieber im Hintergrund, checke ersteinmal die Lage, höre mir an, was andere Leute zu sagen haben, mache mir meine Gedanken, überlege, ob diese sachdienlich und zielführend sein könnten, und dann warte ich brav ab, bis ich an der Reihe bin oder eine ausreichend lange Gesprächspause entsteht, bevor ich meinen wohlüberlegten Gedanken höflich äußere.

Das Problem dabei ist, dass ich dann teilweise gar nicht an die Reihe komme und überhaupt gar nicht auffalle. Möglicherweise bekommt der eine oder andere in der Runde auch gar nicht mit, dass ich überhaupt da bin. Und dann kann ich auch meine wohlüberlegten Gedanken nicht äußern beziehungsweise gehen sie einfach unter. Da hat dann auch keiner was von.

Auf der anderen Seite will ich mich da aber auch gar nicht von Grund auf ändern, weil ich Menschen, die ständig überall im Mittelpunkt stehen und sämtliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen müssen, sehr anstrengend finde. Ich verstehe die Motivation dahinter einfach nicht. Warum sollte man das wollen, dass alle ihre Aufmerksamkeit auf einen richten, anstatt sich um ihre eigene Verantwortung zu kümmern? Da läuft man doch Gefahr, dass man dann für andere die Verantwortung mit übernehmen muss, dass sich alle darauf verlassen, dass man alles für sie regelt, und weil das nicht funktionieren kann, wird man alle anderen zwangsläufig enttäuschen. Und ich finde das ganz unerträglich, die Erwartungen anderer nicht zu erfüllen. Dann doch lieber gar nicht erst große Erwartungen wecken, indem man gar nicht erst auffällt. Oder?

Gleichzeitig nervt es mich aber auch, dass nie jemand auf mich hört, dass meine guten Ideen kein Gehör finden und niemand mitzubekommen scheint, was ich alles leiste.

Also, was tun? Muss ich mich da jetzt verbiegen und mich zur Rampensau umerziehen? Oder gibt es nicht vielleicht einen Zwischenweg? Ich möchte mich gern bei Bedarf in den Mittelpunkt stellen können, ohne dort stehenbleiben zu müssen. Wenn ich mein Anliegen vorgebracht habe, möchte ich mich aber wieder in den Hintergrund zurückmuckeln, wo ich in Ruhe überlegen kann, bevor ich was sage. Ich habe nur noch nicht herausgefunden, wie das gehen soll.

Irgendwie lasse ich mich immer wieder von lauteren Menschen übertönen und von aggressiveren, offensiveren Zeitgenossen überrumpeln, sodass ich ersteinmal nachdenken möchte, bevor ich entscheide, wie ich mich dazu verhalten will. Ich reagiere da instinktiv mit Rückzug. Und dabei habe ich überhaupt kein Problem damit, vor anderen Menschen über ein Thema zu reden oder eine Geschichte zu erzählen. Ich finde auch Lampenfieber eher spannend als quälend. Aber wenn ich unvorbereitet, spontan in eine Situation geworfen werde, in der ich gern etwas sagen möchte, aber noch nicht zuende gedacht habe, was das sein könnte, bekomme ich den Mund nicht rechtzeitig auf.


Wie geht es euch damit: Steht ihr gern im Mittelpunkt oder fühlt ihr euch da, so wie ich, extrem unwohl? Wenn ihr auch zu denen gehört, die lieber ersteinmal nachdenken, bevor sie sich äußern, wie verschafft ihr euch Gehör und Aufmerksamkeit? Schreibt es mir in die Kommentare, ich bin gespannt. 🙂

Essai 183: Über Scheiß, für den ich zu alt bin

22. November 2018

Als mir an meinem 18. Geburtstag mal ein wildfremder Typ sagte: „Pass auf, ab jetzt geht alles ganz schnell“, habe ich ihm nicht geglaubt. Aber – lieber wildfremder Typ, falls Sie das hier lesen – Sie hatten vollkommen recht. Dieses Jahr bin ich schon doppelt volljährig geworden und tatsächlich kommt mir die Zeit seit dem Jahr 2000 viel kürzer vor als die Zeit davor.

Nun könnte man deswegen natürlich wehmütig werden. Vergangenen Zeiten hinterhertrauern oder so. Darüber wehklagen, dass immer mehr weiße Haare im braunen Schopf hervorleuchten (so langsam sieht man sie sogar, ohne gezielt danach zu suchen), die Augen von Krähenfüßchen und Lachfältchen umrandet sind. Sich grämen, weil man jetzt fast eine ganze Woche braucht, um sich von einer langen Nacht zu erholen. Und andere ganz normale Alterserscheinungen, die sich mit Mitte 30 halt langsam so einschleichen.

Oder man lässt es bleiben und freut sich stattdessen über all die Dinge, die man früher für total wichtig hielt, die man aber inzwischen als unnötig erkannt hat. Das ist zumindest mein bevorzugter Ansatz – die Alterserscheinungen kommen ja eh, ob ich mich nun darüber ärgere oder nicht.

Meine Damen und Herren: Ich präsentiere hiermit meine Liste an Scheiß, für den ich zum Glück zu alt bin:

1. Alles glauben, was irgendwelche Schnacker im Brustton der Überzeugung behaupten

Zugegeben, an der Sache arbeite ich noch ein wenig. Hin und wieder passiert es mir dann doch, dass ich auf das aufgeblasene Geschwafel von Wichtigtuern hereinfalle und mich beeindrucken lasse, obwohl die Quatsch erzählen. Aber es ist nicht mehr die Regel. Früher ging ich automatisch davon aus, dass alle besser über alles Bescheid wissen als ich. Da musste man nur irgendwas im überzeugten Tonfall behaupten – und ich ging davon aus, dass das stimmt und der Schnacker ganz genau weiß, wovon er da redet.

Inzwischen ist mein Selbstvertrauen nicht mehr ganz so komplett für’n Arsch und ich habe mir in den letzten Jahren ausreichend Wissen und Erfahrung angeeignet, dass ich nicht mehr ganz so leicht Bullshit und Weisheit verwechsle. Und das finde ich super. Allerdings geht da noch was, von daher freue ich mich schon auf die nächsten Jahrzehnte.

2. Schnäppchen kaufen, weil sie billig sind, obwohl sie mir nicht gefallen

Früher habe ich oft Klamotten gekauft, die günstig, aber nicht wirklich praktisch oder mein Stil waren. Sie vegetierten darob in meinem Kleiderschrank dahin, ohne je das Tageslicht zu erblicken. Ich hatte dann zwar nicht viel Geld dafür ausgegeben, aber in Anbetracht der nicht vorhandenen Zweckmäßigkeit der Schnäppchenkäufe, eben doch zu viel Geld verplempert.

Und sowas nervt mich ja: Wenn ich Geld oder Energie verplempere, ohne dass es mir irgendwas nützt oder mir Freude bereitet. Inzwischen miste ich immer mal wieder meinen Kleiderschrank aus und gebe radikal alles weg, was ich ewig nicht mehr getragen habe, was mir nicht mehr gefällt oder mir nicht mehr hundertpro passt. Ausnahmen mache ich nur bei meinen Abend- und Cocktailkleidern, die trägt man halt generell nicht so oft.

3. Auf Partys gehen, auf die ich keine Lust habe

Ich bin eigentlich, tief im Grunde meines Herzens, ein Partymuffel. Früher habe ich mich trotzdem aufgerafft, mit in den Club zu gehen, obwohl ich viel lieber gemütlich auf der Couch gesessen und mit einer heißen Tasse Tee in den Händen mit meinen Freunden gequatscht hätte, als mich mit fremden Leuten auf einer klebrigen Tanzfläche zu quetschen, schlechte Luft zu atmen, mich von Idioten angraben zu lassen, die nicht kapieren, dass, wenn ich die Frage, ob sie mir einen Drink spendieren dürften, mit „Nein, Danke“ beantworte, damit tatsächlich „Nein, Danke“ meine.

Inzwischen traue ich mich, dazu zu stehen, dass ich kleine, muckelige Runden mit lieben Menschen, die ich gut kenne, Massenzwangsbespaßungsmaßnahmen vorziehe. Dann bin ich eben keine Partylöwin oder extrovertierte Stimmungskanone, und dann werde ich eben irgendwann müde und fahr nach Hause, anstatt bis zum Morgengrauen durchzuhalten. Dann fühle ich mich eben reizüberflutet und unwohl, wenn um mich herum die Technobässe wummern, sodass man sein eigenes Wort nicht mehr versteht. Ich bin keine 20 mehr und muss mir das nicht mehr antun.

4. Über meinen Schatten springen, obwohl ich das, was auf der anderen Seite ist, gar nicht will

Ich habe mich früher oft verpflichtet gefühlt, anderen Menschen irgendwas zu beweisen. Ich bin dann oft über meinen Schatten gesprungen, um beispielsweise mit auf Partys oder in die Disco zu gehen, und länger dort zu bleiben, als ich Lust hatte. Auch meine Schauspielausbildung habe ich im Grunde vor allem deswegen gemacht und durchgehalten, weil ich allen zeigen wollte, dass ich nicht so einfach aufgebe, und dass ich Kram, den ich angefangen habe, auch bis zum Ende durchziehe.

Und bevor man mich falsch versteht: Ich bin froh, dass ich das zu der Zeit getan habe. Ich habe zum Beispiel auf der Schauspielschule Freunde fürs Leben gefunden. Und man lernt halt viel über sich, wenn man auch mal Dinge ausprobiert, die einem nicht auf Anhieb zusagen. Und wenn man nicht mal seine Grenzen überschreitet, weiß man nicht, wo diese Grenzen liegen.

Aber mit der Zeit kann man sich immer besser einschätzen und man erkennt nach und nach, was man will und was nicht. Und das Gute ist, dass man dadurch mit zunehmendem Alter immer seltener über seinen Schatten springen muss, um herauszufinden, ob man das, was sich auf der anderen Seite des Schattens befindet, überhaupt erreichen will. Das finde ich sehr angenehm. So kann man sich seine Energie viel besser einteilen.

5. Dinge tun, weil ich denke, dass andere sie von mir erwarten, nicht, weil ich sie tun will

Puh, ganz schön viele Kommata in einem Satz. Aber auch das ist eine Sache, die mir erst so in den letzten Jahren klargeworden ist. Manchmal denkt man, man wollte etwas, aber in Wirklichkeit will man es gar nicht, sondern denkt nur, man müsste es wollen, weil andere das von einem erwarten, und man diese Menschen nicht enttäuschen will. Klingt kompliziert? Ist es auch. Ich bin teilweise auch immer noch dabei, das für mich auseinander zu klamüsern.

Aber es ist tatsächlich auch sehr spannend, herauszufinden, was man selbst will, was man vom Leben noch erwartet, was einen glücklich macht und wo die eigenen Prioritäten liegen. Muss man partout die Karriereleiter in Richtung Führungsposition emporklettern? Oder gibt es nicht noch andere Entwicklungsmöglichkeiten, die einem erlauben, immer wieder Neues dazuzulernen und sein Wissen mit anderen zu teilen? Tut das zwingend Not, eigene Kinder in die Welt zu setzen? Oder kann man nicht auch als Tante/Patentante/Pseudopatentante Spaß haben, die Kinder anderer Leute verwöhnen oder Verstecken spielen oder auf Hüpfburgen herumhopsen? Muss man wirklich immer B sagen, weil man irgendwann mal A gesagt hat? Oder kann man auch einsehen, dass A Quatsch war, und sich stattdessen für C entscheiden?

6. Mich für das Lebensglück erwachsener Menschen verantwortlich fühlen

Zugegeben, ich versuche immer noch, es allen Recht zu machen, und wünsche mir immer noch, dass alle glücklich sind, auch wenn ich weiß, dass das nicht geht beziehungsweise, dass mich das eigentlich nichts angeht. Aber ein bisschen Fortschritte habe ich in der Hinsicht schon gemacht. So mische ich mich zum Beispiel nicht mehr ungefragt ein, wenn ich den Eindruck habe, jemand steht sich selbst und seinem eigenen Glück im Weg. Das fällt mir immer noch schwer, aber ich reiße mich zusammen und denke mir meinen Teil, bis man mich nach meiner Meinung fragt. Und wenn man mich nicht nach meiner Meinung fragt, behalte ich sie für mich.

Es ist ja wirklich so, dass ich nicht für das Lebensglück anderer Leute verantwortlich bin. Und ich bin auch gar nicht das Maß aller Dinge, also, was für mich wichtig ist, muss ja nicht für andere gelten. Und solange keine Lebensgefahr besteht, kann man ja auch andere Leute – aus meiner Sicht – unvernünftige oder nicht zweckmäßige Verhaltensweisen machen lassen, auch wenn ich sie nicht nachvollziehen kann. Es ist ja nicht meine Aufgabe, Leute zu erziehen oder zu ändern. Das einzusehen, ist aber in der Tat eine Sache, an der ich wohl noch weiter arbeiten muss, denn leicht fällt mir das nicht.

7. Bücher zuende lesen, die langatmig geschrieben sind oder mir nicht gefallen

Während des Studiums musste ich mich häufiger auch mal durch Bücher quälen, die sehr verquast oder umständlich oder langatmig geschrieben waren. Es waren auch viele spannende und tolle Bücher dabei, die ich von alleine nicht entdeckt hätte. Aber eben auch so verkopfte Klopper, die darauf ausgelegt sind, nur von anderen Intellektuellen verstanden zu werden, wenn überhaupt. Und ich war zwar im Nachhinein schon stolz auf mich, wenn ich mich da durchgeackert hatte, aber wenn ich ganz ehrlich bin: Spaß ist was anderes.

Und jetzt kann ich endlich nur das lesen, worauf ich Lust habe, und das finde ich wunderbar. Ich habe immer ein Buch in der Tasche und lese in der U-Bahn, in der Mittagspause, wenn ich irgendwo warten muss, … Wenn ich in ein Buch beim besten Willen nicht reinkomme, weil der Schreibstil oder die Erzählweise mir zu zäh ist, dann habe ich inzwischen auch keine Skrupel mehr, ein paar Seiten oder Kapitel zu überspringen oder ein Buch auch mal zur Seite zu legen, und mir ein neues zu schnappen.


Und, wie erlebt ihr das Älterwerden? Kommen euch einige von diesen Dingen bekannt vor? Oder seht ihr noch andere Sachen, die mit den Jahren besser werden? Schreibt es mir in die Kommentare, ich bin gespannt! 🙂

Essai 173: Über Nettigkeit und Schmierigkeit

4. Juni 2017

Anscheinend ist es gar nicht so einfach Nettigkeit und Schmierigkeit auseinander zu halten. Dieser Eindruck entsteht zumindest, wenn man sich in Facebook-Diskussionen zum Thema Flirten einmischt. Da kann man sich wirklich die Finger fusselig tippen und immer wieder betonen, dass derjenige, der den ersten Schritt macht, einfach nur nett sein muss, das glaubt einem keiner. Es dauert in der Regel nicht lange, und irgendwer macht das Fass auf, von wegen: „Frauen stehen eh nur auf Arschlöcher. Wenn man als Mann nett ist, ist man doch gleich unten durch. Nett ist gleichbedeutend mit langweilig.“

Das gibt es zwar auch in der umgekehrten Variante, dass Frauen herumjammern, die guten Männer wären immer alle mit solchen Oberzicken zusammen, allerdings begegnet mir persönlich diese Version nicht so oft. Aber dass Männer, die sich selbst für total nett halten, den einen oder anderen Korb kassieren, und das darauf schieben, dass sie halt zu nett sind, das höre oder lese ich relativ häufig.

Und ich wundere mich darüber. Denn mir ist das noch nie passiert, dass ich eine Abfuhr bekommen hätte, weil ich zu nett war. Ein Arschloch bin ich aber auch nicht. Wenn ich eine Abfuhr bekommen habe, dann, weil der andere einfach nicht wollte. Punkt. Mehr steckt nicht dahinter. In allen anderen Fällen – das bezieht sich übrigens nicht alleine aufs Flirten, sondern grundsätzlich auf zwischenmenschliche Kommunikation – war es stets hilfreich, freundlich, höflich und nett zu bleiben. Sicher, manchmal kriegt man trotzdem ziemlich unfreundliche, arrogante oder aggressive Vorwürfe und Tiraden um die Ohren gehauen. Aber das liegt dann nicht an der Nettigkeit, sondern daran, dass der andere ein ernsthaftes Problem mit seinem Selbstwertgefühl und seiner Impulskontrolle hat.

Woran aber scheitern Flirtversuche, die der Anflirtende als nett empfindet, dann? Ich vermute, dass der Anflirtende in dem Moment nicht nett ist, weil er nett ist. Sondern, dass er nett ist, weil er was von dem anderen will, in der Regel Sex oder wenigstens ein sexy Herumgeplänkel mit späterer Aussicht auf Sex. Und das Objekt des Angeflirtetwerdens merkt, dass die Nettigkeit nicht aufrichtig ist, sondern Mittel zum Zweck. Und das, meine lieben Leserinnen und Leser, ist schmierig. Wer nett tut, weil er damit seine Bedürfnisse dem anderen aufoktroyieren möchte, weil er Nettigkeit als eine Währung begreift, und glaubt, er könnte sich damit die sofortige Erfüllung aller seiner Wünsche kaufen, ist ein Schmierlappen.

Da die Wenigsten Lust haben, mit einem Schmierlappen ins Bett zu gehen, klappen diese Flirtversuche in der Regel nicht. Das liegt nicht daran, dass man nett war, sondern daran, dass die Nettigkeit falsch, aufgesetzt, unehrlich, unauthentisch und berechnend war.

Wer wirklich nett ist, ist immer nett, auch, wenn er nichts von seinen Mitmenschen will. Die Nettigkeit ist dann eine Grundeinstellung, die immer mitschwingt, selbst, wenn man verärgert ist. Trotzdem bemüht man sich dann, in seinem Zorn nicht total unfair zu werden, bei sich zu bleiben und Eigenverantwortung zu übernehmen. Und wenn man sich als aufrichtig netter Mensch dann doch mal im Ton vergreift oder in seiner Wut gemein zu anderen wird, hat man kein Problem damit, sich hinterher – ebenfalls ehrlich und aufrichtig – zu entschuldigen.

Kann man das nicht, ist man nicht wirklich nett. Das ist ja nicht schlimm, es muss ja nicht jeder ein netter Mensch sein. Wobei, ich fände es persönlich sehr viel schöner, wenn es mehr wirklich nette Menschen gäbe, aber das nur so am Rande. Was mich aber nervt, ist, wenn man sich dann so eitel aufplustert, sämtliche Eigenverantwortung über Bord wirft, und sich aufs moralisch hohe Ross schwingt, indem man von sich behauptet, man wäre zu nett, und bekäme deswegen seinen Willen nicht anderen Menschen aufgezwungen.

Das finde ich einfach total widerlich, wenn man sich selbst als feiner Mensch, der nur das Wohl aller anderen im Sinn hat, aufbauscht, obwohl es einem in Wahrheit nur darum geht, immer und überall von jedem jeden Wunsch von den Lippen abgelesen und umgehend erfüllt zu bekommen. Entschuldigung! Wo leben wir denn hier? Im Leben hat man es nun mal eben mit anderen Menschen zu tun, die unterschiedliche Ziele, Wünsche, Bedürfnisse und Persönlichkeiten haben. Da kann ich nicht erwarten, dass sich alle nach mir, meinen Zielen, Wünschen und Bedürfnissen richten. Warum sollten sie das tun, wenn ich nicht dazu bereit bin, das für sie zu tun? Wie Ich-bezogen kann man eigentlich sein?

So. Und wer so dermaßen egomanisch unterwegs ist, mit überzogenen Ansprüchen an seine Umwelt und völlig unrealistischen Erwartungen an seine Mitmenschen, wer sich so dermaßen weigert, für sich Verantwortung zu übernehmen, der. Ist. NICHT. NETT!!! Der ist ein Arschloch. Und nur, weil ein Arschloch sich für unfassbar nett und charmant hält, ändert es nichts an seinem Arschlochtum. Es bekommt eben nur diesen schmierigen, klebrigen Schleim der Unaufrichtigkeit übergezogen.

Ich denke, wenn Frauen auf Arschlöcher stehen beziehungsweise Männer auf Oberzicken, dann liegt das daran, dass sich diese Leute nicht verstellen. Die sind so, wie sie sind, und das kann man mögen oder auch nicht, aber man weiß dann, woran man ist. Genauso weiß man intuitiv bei wirklich netten Menschen, dass sie es ehrlich meinen. Und das funktioniert meines Erachtens auch wunderbar. Es kommt halt nur seltener vor, dass man auf einen wirklich netten Menschen trifft.

Was meint ihr dazu?

Essai 163: Über Dinge, die ich tue, wenn keiner guckt

21. August 2016

Es soll ja Leute geben, die um keinen Preis der Welt alleine sein wollen. Zu denen gehöre ich nicht. Ich bin zwar kein mürrischer Eigenbrötler, der alle Menschen grundsätzlich hasst und Gesellschaft überhaupt gar nicht verträgt, aber gelegentlich finde ich es sehr wohltuend, alleine zu sein. Ich tendiere nämlich dazu, es allen recht machen zu wollen, und nehme mir das immer sehr zu Herzen, wenn ich irgendwelche emotionalen Disharmonien verspüre und denke dann immer gleich, ich hätte irgendwas gemacht, weswegen der Miesepeter sich nicht wohlfühlt. Ich weiß, dass das Blödsinn ist, aber mein Herz ist da etwas schwerer von Begriff als mein Hirn 😛 Und wenn man immer andere Menschen um sich hat, tauchen früher oder später immer irgendwelche schiefen Töne auf, und das finde ich sehr anstrengend.

Manchmal meinen es Menschen obendrein auch noch gut mit mir und geben mir so sinnvolle Ratschläge, etwa, dass ich gar nicht schüchtern/zurückhaltend/etc. sein müsste, dass ich doch einfach sagen sollte, wenn irgendwas ist oder dass ich mir doch gar nicht alles so zu Herzen zu nehmen bräuchte. Ich weiß, es ist nett gemeint und man will mir nur helfen. Aber das finde ich dann noch mal doppelt anstrengend, weil ich dann das Gefühl habe, ich müsste mich nicht nur für meine dusseligen Empfindungen schämen, sondern mich auch noch dafür rechtfertigen, dass ich nun mal eben fühle, was ich fühle, und das nicht einfach ausknipse, wenn das, was ich fühle, Schwachsinn und nicht zweckdienlich ist. Ja, schon klar, ich bin ein komischer kleiner Kauz.

Wie dem auch sei, ich denke, ich bin zumindest nicht die Einzige, die hin und wieder gern unbeobachtete Momente genießt und diese dazu nutzt, Quatsch oder peinlichen Kram zu machen, einfach so, weil’s Spaß macht. Eine kleine Auswahl davon enthülle ich euch heute mal:

1. Laut singen

Ich singe unheimlich gern, aber ich fürchte, es klingt nicht immer sonderlich gut. Zumindest habe ich mal bei einem Karaoke-Wettbewerb „Unbreak my Heart“ von Toni Braxton voller Inbrunst ins Mikrofon gegrölt und damit den letzten Platz gemacht. 5 Punkte heimste ich von der dreiköpfigen Jury ein, die nach meinem Auftritt erstmal perplex dasaß. Nachdem sie sich vom Schock erholt hatten, meinte die Anführerin: „Das war zu tief“ (war’s auch), woraufhin ich meinte: „Mir hat’s gefallen“. Ach so, und dann habe ich bei einem anderen Karaoke-Auftritt „Basket Case“ von Green Day gesungen – bei Punkrock macht es ja zum Glück nichts, wenn’s ein bisschen schief klingt – und das fand die Jury dann „ganz OK“.

Wie dem auch sei, Spaß habe ich trotzdem dran, auch, wenn aus mir vermutlich nicht die nächste Céline Dion oder was wird. Um meine Mitmenschen dennoch nicht über alle Maße zu quälen, singe ich meistens nur, wenn gerade keiner zuhört, oder beim Karaoke, wo ohnehin alle fürchterlich singen und keinen Ton treffen, da falle ich dann nicht weiter auf. 😀 Mein Freund muss gelegentlich auch meinen Gesang ertragen, wenn wir im Auto Radio hören und ich das Lied kenne. Aber er trägt es mit Fassung, zum Glück hat er Nerven aus Stahl 😛

2. Voll sexy durch die Wohnung tanzen

Mindestens genauso gern wie Singen mag ich Tanzen, aber weil das irgendwie peinlich ist, auf der Straße, in der U-Bahn oder im Büro ständig vor mich hin zu tänzeln und zu hüpfen, reiße ich mich in der Öffentlichkeit lieber zusammen. Ein Hopser hier oder ein Wechselschritt da rutscht mir manchmal schon heraus, aber ansonsten beschränke ich mein Getanze darauf, wenn ich alleine bin oder in einem Kontext, in dem Tanzen angemessen erscheint, etwa auf Feiern. Zum Beispiel mache ich zu Hause beim Kochen immer das Radio an, und wenn mir ein Lied gefällt, singe ich laut mit und wackel mit dem Hintern und lasse die Hüften kreisen, während ich hingebungsvoll die Tomatensoße umrühre.

3. Grimassen schneiden vorm Spiegel

Wenn ich in den Spiegel schaue, verziehe ich mein Gesicht immer zu irgendwelchen Grimassen, die sogar Jim Carrey Konkurrenz machen würden. Das macht einfach Spaß, außerdem werden die Gesichtsmuskeln dabei gedehnt und man bewahrt sich etwas länger sein jugendliches Aussehen 😛

4. Füße auf den Tisch legen

Eigentlich gehört sich das ja nicht, die Füße auf den Tisch zu legen. Es ändert aber nichts an der Tatsache, dass das sehr bequem ist. Also mache ich das nur, wenn ich sturmfreie Bude habe. Da ich meine Füße täglich wasche und die Socken täglich wechsle, ist das auch nur ein bisschen eklig 😀

5. Handtücher zu Abendkleidern umfunktionieren

Ich brauche immer Ewigkeiten im Bad, weil ich dort so schön meine Ruhe habe und weil’s da schön warm ist, wenn ich die Heizung rechtzeitig voll aufgedreht habe. Beim Abtrocknen finde ich es außerdem immer sehr unterhaltsam, aus meinem Handtuch ein Cocktailkleid zu basteln und mir auszumalen, ich würde so zu einem wichtigen Anlass gehen. Das wäre ziemlich lustig. Wer weiß, vielleicht traut sich auch keiner, anzumerken, dass ich mir nur ein Handtuch umgetüddelt habe und ich bekomme lauter Komplimente zu meinem exquisiten Kleidungsstil, so wie in dem Märchen von des Kaisers neue Kleider. Aber dafür müsste ich wahrscheinlich irgendwie wichtig sein. Und dann hätte ich weniger Zeit für mich alleine, was auch blöd wäre. Tja, man kann halt nicht alles haben, dann bleiben meine Handtuchkleidkreationen eben hinter verschlossener Tür.

Und, was macht ihr so, wenn ihr euch unbeobachtet fühlt?

Essai 147: Über Frauen, die angeblich nichts können

26. Juli 2015

Eine Sache, die an uns Mädels echt nervig ist, ist unser überwiegend miserables Selbstwertgefühl. Irgendwie scheinen sich viele Frauen als schlechter und unfähiger einzuschätzen, als sie tatsächlich sind. Zumindest erlebe ich es immer wieder, dass meine Geschlechtsgenossinnen Dinge sagen wie: „Das kann ich nicht“, „Das ist nicht meine Stärke“, „Das Kleid? Ach, das ist doch schon uralt!“ und so weiter. Warum fällt es uns so schwer, uns einfach mal hinzustellen und zu sagen: Das bin ich. Das kann ich. Und wenn dir das nicht passt, dann ist das dein Problem! Bäm! Towabanga!

Ist uns das obsessive Tiefstapeln angeboren, anerzogen oder durch die Gesellschaft verbockt? Oder sind wir einfach selber Schuld, weil wir uns das irgendwann einmal angewöhnt haben und keine Lust haben, uns die Arbeit zu machen, es uns wieder abzugewöhnen? Vermutlich ist es eine Mischung aus allem. Auf jeden Fall ist das reichlich anstrengend, wenn man einmal angefangen hat, darauf zu achten. Eine Freundin von mir machte mich neulich darauf aufmerksam und erzählte mir eine Geschichte (eine wahre noch dazu): Vor ein paar Jahren traf sie auf dem Weg vom Einkaufen einen Nachbarn und kam mit ihm ins Gespräch. Sie unterhielten sich über alles Mögliche, doch zum Schluss wurde der Nachbar nachdenklich und sagte zu ihr: „Sag mal, ich hab jetzt von dir nur erfahren, was du angeblich alles nicht kannst. Gibt es auch etwas, wo du gut drin bist?“ Meine Freundin war sprachlos. Es war ihr überhaupt nicht bewusst gewesen, dass sie ihr Licht so konsequent unter den Scheffel gestellt hatte. Bis sie mir das erzählt hat, war mir das auch nicht so schlimm erschienen, dass ich immer in den buntesten Details meine vermeintliche allumfassende Unzulänglichkeit darlege und über meine Talente oder Begabungen gar nicht spreche.

Seltsam, mir ist das auch irgendwie total unangenehm, mit meinem Können hausieren zu gehen. Ich denke dann, das ist doch Angeberei, das tut man nicht. Oder vielmehr „frau“ tut das nicht, bei Männern ist das merkwürdigerweise weniger verpönt, wenn die sich in aller Öffentlichkeit großartig finden. Manche übertreiben es dann auch gern einmal und dann schäme ich mich ein bisschen fremd. Aber manchmal kann ich nicht umhin, das zu bewundern und mich darüber zu ärgern, dass ich nicht so locker und entspannt sagen kann, dass ich eigentlich im Großen und Ganzen schon in Ordnung bin so wie ich bin. Und was nicht so toll ist, müsste ich ja eigentlich nicht allen unter die Nase reiben, sondern könnte daran stillschweigend arbeiten. Oder könnte mir bei manchen Untalenten auch sagen, Scheiß drauf, man muss ja nicht alles können.

Stattdessen hat sich in mir die Überzeugung festgebissen, das, was ich kann, interessiere niemanden so wirklich. Das kann ich halt. Sieht ja eigentlich auch jeder, ohne dass ich das extra betonen muss, oder? Während ich bei den Dingen, die ich nicht gut kann, eher Gesprächsbedarf empfinde, weil das dann ja Probleme respektive Herausforderungen sind, die man gern lösen möchte. Oder auch nicht, bei besonders hoffnungslosen Nichtbegabungen will man vielleicht auch einfach nur darüber reden, um zu sagen: Seht her, ich bin nicht perfekt, ich bin ein menschliches Wesen, das niemandem etwas zuleide tut und geliebt werden will! Vielleicht will man als Frau mit dem Tiefstapeln sozusagen die weiße Fahne schwenken und signalisieren, dass man in Frieden kommt und keinen Konkurrenzkampf aka Stutenbissigkeit vom Zaun brechen will. Bei Männern hingegen ist Konkurrenzkampf und Wetteifern eher positiv behaftet. Niemand würde das als Zickenkrieg bezeichnen, wenn zwei Männer sich gegenseitig erzählen, wie unfassbar phänomenal sie sind. Bei Frauen schon. Deswegen versuchen wir uns gegenseitig mit unserem Unvermögen zu unterbieten, damit uns alle lieb haben.

Auf der anderen Seite finde ich es dann auch wieder ganz nett und witzig, wenn Menschen mit einer von sokratischer Ironie geprägten Haltung durchs Leben flanieren und wissen, dass sie nichts wissen. Es gibt da ja schon auch Nuancen. Wenn man ab und zu mit einem Lächeln zu seinen eigenen Schwächen steht, die man nicht ändern kann, anstatt immer nur zu erzählen, wie fantastisch man ist, macht einen das ja auch menschlich. Aber wenn man ständig jammert, man könne dies nicht und das nicht und nicht eine Sekunde darüber nachdenkt, ob das überhaupt in dem Ausmaß stimmt, dann ist das anstrengend. Man entwickelt sich nämlich auch weiter, und manchmal kommt die Selbstwahrnehmung nicht so schnell hinterher und dann denkt man, man sei immer noch genauso doof wie vor zehn Jahren, obwohl man längst Fortschritte gemacht hat. Da ist das dann ganz gut, wenn man nette Freunde hat, die einem ab und zu mal den Kopf zurecht rücken.

Letztens war ich beim Friseur und hatte ein Foto von meinem Wunschhaarschnitt dabei. Die Friseurin guckt sich das Bild an, völlig entgeistert und klagt: „Ja, aber das ist ja gestylt. Das kann ich so nicht schneiden.“ Ich: „Das ist schon klar, ich meine ja auch die Länge. An den Seiten und am Hinterkopf schön kurz, oben etwas länger, wie auf dem Foto.“ Friseurin: „Hmmmm, aber das ist ja gestylt, ich weiß nicht, das geht nicht, ich kann das so nicht schneiden, ich trau mich nicht, bla.“ (An dieser Stelle war ich kurz davor zu gehen, zu lange Haare hin oder her) Dann kam eine Kollegin dazu und fragte: „Kannst du mit dem Messer schneiden?“ Friseurin: „Nee, das habe ich ja noch nie gemacht.“ (Vielleicht war sie gar nicht Friseurin?) Kollegin (seufzt): „OK, lass, ich mach.“ Zack! So geht das!

Ich finde, wir können ruhig häufiger mal dazu stehen, wenn wir etwas können. Schließlich können Ausbildung und/oder Lebenserfahrung nicht komplett spurlos an uns vorübergegangen sein, oder? Irgendetwas wird schon hängengeblieben sein und wenn nicht: Es ist nie zu spät, sein Leben zu ändern und an dem zu arbeiten, was wir gern anders hätten. Und Komplimente dürfen wir auch ruhig einfach mal ohne Gedöns annehmen und uns darüber freuen. Jemand findet das Kleid schön, das man trägt? Ein Lächeln und ein Danke reichen als Antwort! Kein „Ach, das olle Ding?“ oder „Oh, das gab es im Angebot, so ein NoName-Teil, nichts Besonderes“ oder was auch immer.

Essai 146: Über das Wehklagen einer Heulsuse

17. Juli 2015

Ich weiß nicht, ob das sonst noch wer kennt:
Ich bin so eine, die immer gleich flennt.
Das ist ziemlich doof und auch sehr lästig.
Darum schreibe ich hier dies kleine Gedicht.

Heute mal etwas Lyrik zur Einstimmung, es geht nämlich um ein sensibles Thema: Heulsusen. Wenn man wie ich nah am Wasser gebaut hat, gerät man jedesmal in peinliche Situationen, sobald es mal ein wenig emotional zugeht. Gut, wenn’s gerade traurig ist, ist die Flennerei vom Kontext her angebracht, aber ich fange auch an zu weinen, wenn ich sehr wütend, sehr glücklich, völlig verwirrt, überarbeitet, gestresst bin oder einfach nur schlecht geschlafen habe. Und da fängt es dann an, unglaubwürdig zu werden, wenn man zur Abwechslung mal heult, weil man etwas traurig findet.

Obendrein sehe ich mit meinen braunen Kulleraugen, den Pausbacken und dem Schmollmund auch noch schauderhaft putzig aus. So wie das kleine Viech aus Madagascar, Mort:

Da soll mal einer versuchen, unter den Voraussetzungen ein Anliegen klar und unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen. Weiterhin blöd: Wenn ich flenne, weil ich sauer bin oder weil ich merke, dass mich kein Schwein versteht, dann kapiert erst recht niemand, was ich eigentlich sagen will. Dann ärgert mich das noch mehr, ich fühle mich noch unverstandener und überdies schäme ich mich in Grund und Boden wegen meiner Heulerei, sodass ich noch mehr weinen muss. Und dann will ich, dass das aufhört, damit ich sagen kann: So und so ist mein Standpunkt. Basta. Wie soll das aber gehen, wenn man vor lauter Schluchzerei kaum ein Wort geradeheraus gesagt bekommt?

Zum Glück kennen meine Freunde das schon von mir. Sie lassen mich dann erst einmal zuende heulen und wenn ich mich dann unter tausend Entschuldigungen irgendwann wieder eingekriegt habe (was üblicherweise recht fix geht), atme ich ein paar Mal tief durch und versuche mich dann zu erklären. Das versteht meistens immer noch keiner, aber wenigstens wirke ich dabei nicht mehr völlig banane, sondern nur noch ein wenig wunderlich.

Ehrlich gesagt, wenn ich in diesen Momenten nicht ich wäre, fände ich das alles ziemlich lustig. Weil es einfach völlig absurd ist, grundlos zu flennen, und weil ich dabei wohl auch sehr ulkig aussehe. Und weil es wie gesagt immer recht schnell wieder okay ist. Nervig ist es trotzdem. Ich wecke ohnehin schon den Beschützer- beziehungsweise Mutterinstinkt von allen mit meiner Plüschtieroptik. Das ist ja eigentlich auch nicht so schlimm, aber es erschwert mir, ernst genommen zu werden. Die Heulerei macht’s nicht besser.

Ein feinfühliger, empfindsamer Mensch zu sein, ist ziemlich anstrengend. Man hat es sicher um einiges leichter, wenn man ein dickes Fell hat, sich nichts so sehr zu Herzen nimmt und einem ab und zu Dinge einfach mal wurscht sind. Aber ich kenne es nicht anders, als mit einer tiefschürfenden Gefühlswelt verflucht zu sein. Wobei, irgendwie ist das auch ganz schön und bunt … so ist mir immerhin selten langweilig.

Essai 141: Über innere Werte und ihre Außenwirkung

23. Mai 2015

„Was zählt, sind die inneren Werte!“ – Diesen Spruch habe ich eine lange Zeit für eine indiskutable Wahrheit gehalten. Bis ich dann immer wieder feststellte, dass ich ziemlich oft missverstanden oder falsch eingeschätzt werde, was gelegentlich reichlich nervig ist. Die inneren Werte, also der Charakter, die Persönlichkeit, das Wesen, was auch immer, sind natürlich wichtig, das stimmt schon. Aber woher sollen denn Außenstehende wissen, welche inneren Werte man hat, wenn man Selbige nicht in irgendeiner Weise zum Ausdruck bringt? Eben.

Als ich noch dachte, Schauspielerin zu werden wäre für mich eine super Idee, habe ich ganz oft Situationen erlebt, in der ich ganz viel „gefühlt“ habe und hinterher fragte mich mein Dozent: „Was war denn mit dir los, bist du eingeschlafen?“ Umgekehrt habe ich auch etliche Diskussionen von Schauspielschülern mit angehört, weil sie der Meinung waren, sie waren „total drin“, aber man hat das von außen überhaupt nicht gemerkt. Das ist dann ein ganz sensibles Thema, weil das so schwierig zu erklären ist, dass es als Schauspieler vollkommen nebensächlich ist, ob man „total drin“ war und „ganz viel gefühlt“ hat, was zählt, ist, wie es beim Zuschauer ankommt. Und kommt beim Zuschauer gar nichts an, dann hat der Schauspieler seinen Job nicht gemacht.

Im wirklichen Leben ist das noch mal etwas anderes als auf der Bühne oder vor der Kamera, das ist klar. Da will man ja nicht unbedingt allen anderen eine Geschichte erzählen, sondern ich denke, die meisten wollen für das gemocht, geliebt, anerkannt und respektiert werden, was sie „sind“. Und die wenigsten wollen auf ihr Aussehen oder irgendeine bestimmte Eigenschaft reduziert werden, weil es dem, was sie „sind“ nicht gerecht wird. Das ist verständlich und ich bin da nicht anders.

Doch man sollte sich stets in Erinnerung rufen, dass niemand Gedanken lesen und in einen hineinschauen kann. Was bleibt einem denn als Außenstehender anderes übrig, als seine Mitmenschen nach den Kriterien einzuschätzen, die diese ihm mitteilen oder die offensichtlich sind?

Ich kann gar nicht wissen, ob die alte Frau, die mich im Supermarkt angeraunzt hat, weil ich in einem Moment geistiger Umnachtung nicht meine Einkaufstasche rechtzeitig aus dem Weg genommen habe, in Wirklichkeit ein total sanftmütiger, liebevoller Mensch ist. Weil sie mir das nicht gezeigt hat, sie hat mir nur gezeigt, dass sie ein ungeduldiger, grummeliger, unhöflicher Meckerpott ist. Und als solchen schätze ich sie dann auch ein. Das ist in diesem Moment nicht gemein von mir, sondern eine logische Reaktion darauf, unfreundlich behandelt worden zu sein.

Umgekehrt darf ich es der alten Dame aber auch nicht verübeln, dass sie in mir ein unhöfliches junges Ding gesehen hat, das keinen Respekt vor dem Alter hat. Schließlich weiß sie ja nicht, dass ich eigentlich ganz nett und höflich bin, nur manchmal etwas in Gedanken versinke und in solchen Momenten nicht sofort schalte, wenn jemand was von mir will. Was ich in dem Moment zum Ausdruck gebracht habe war, dass ich nicht aufpasse, wohin ich meine Einkaufstasche halte und ob ich damit nicht anderen Leuten den Durchgang versperre. Grob ungezogen sowas!

In unserer Gesellschaft gilt Oberflächlichkeit als fürchterlich verpönt, gleichzeitig sind wir aber nun einmal alle oberflächlich, weil es nicht anders geht. Die Kunst besteht dann darin, dass man sich trotzdem gelegentlich die Mühe macht, hinter die Oberfläche zu schauen. Dafür müssen wir jedoch allen unseren Mitmenschen entgegen kommen und ein wenig von unseren eigenen inneren Werten offenbaren. Das geht am besten, indem wir unser Verhalten und unser Handeln daran anpassen. Ab und zu muss man auch den Mund aufmachen, falls subtile Hinweise nicht ausreichend waren.

Allerdings muss man da auch immer abwägen, was man eigentlich will. Wenn ich zum Beispiel stinksauer bin, weil ich mich in einem Moment ungerecht behandelt fühle, ist das manchmal ganz ratsam, das für mich zu behalten, ein paar Mal tief durchzuatmen, meine Gedanken und Argumente neu zu sammeln und zu sortieren und mich dann in aller Seelenruhe, nachdem ich ein oder mehrere Nächte darüber geschlafen habe, damit auseinander zu setzen. So kann ich den Konflikt dann viel klüger lösen als wenn ich gleich an die Decke gegangen wäre.

Bringt man seinen Ärger jedoch nicht zum Ausdruck, gehen Außenstehende zwangsläufig davon aus, dass man einverstanden mit ihrem Verhalten und mit der Gesamtsituation vollkommen zufrieden ist. Seine Forderungen kann man auf diese Weise nicht durchsetzen, weil kein Mensch merkt, dass man welche hat.

Wer sich wie ich nicht so leicht aufregt, eher sanftmütig und friedliebend ist, noch dazu die natürliche Autorität eines verwaisten Eichhörnchenbabys, das von einer flauschigen Katzenmama und ihrem gemütlichen Labradorkumpel großgezogen wird, aufweist und in allen sofort Muttergefühle oder den Beschützerinstinkt weckt, der wird halt schnell mal für etwas bescheuert gehalten. Was kein Problem wäre, wenn ich tatsächlich einfältig und unfähig wäre. Bloß, wenn so ein knopfäugiges, pausbäckiges Grübchengesicht, das zudem keine 1,60 Meter groß ist, anfängt, sich auf die Hinterfüßchen zu stellen, seinen ganzen Mut zusammennimmt und dann zaghaft sein Anliegen hervorzirpt, das nimmt doch keiner ernst! In dem Moment nützen mir meine inneren Werte gar nichts, weil meine Außenwirkung eine ganz andere Geschichte erzählt.

Aber darf man das denn, so aus moralischen Gesichtspunkten, dass man dann ein wenig schauspielt, sich anders zeigt, als man eigentlich privat ist? Soll man sich dann wirklich künstlich aufregen, nur, damit ein Anliegen deutlich wahrgenommen wird? Ich bin da ja nicht so ganz überzeugt … Vielleicht gibt’s ja auch einen Mittelweg. Möglicherweise kann man sich ja mit langem Atem, Geduld, Hartnäckigkeit und Beharrlichkeit seine Ziele erkämpfen, ohne sich verstellen zu müssen. Was ist eure Meinung dazu?

Essai 130: Über Schüchternheit

27. Juli 2014

Mir ist das immer irgendwie unangenehm, Leute zu unterbrechen, sie zu stören oder sonstwie zu nerven. Ich lasse Menschen ganz gerne erstmal ausreden, bevor ich meinen Quark dazu gebe und ihren Kram zuende machen, bevor ich sie mit einem Anliegen behellige. Mit anderen Worten, ich bin da eher schüchtern. Das ist eigentlich auch gar nicht weiter schlimm, weil ich – wenn es sein muss – meine Schüchternheit überwinde. Das heißt, wenn ich ein wirklich wichtiges Anliegen habe oder es für nicht zumutbar halte, meine Weisheiten der Außenwelt vorzuenthalten, dann mache ich schon auf mich aufmerksam.

Das Problem ist, dass wir in einer Gesellschaft leben, die leise, zurückhaltende, höfliche Menschen für seltsam hält. Schüchternheit, so scheint es mir, wird wie ein Makel behandelt. Und man ruft mit einer eher introvertierten Art den Helferkomplex seiner Mitmenschen auf den Plan. Man wird dann mit gut gemeinten Ratschlägen wie „Du musst gar nicht schüchtern sein“ oder „Komm doch mal mehr aus dir heraus“ oder „Trau dich doch einfach mal was“ traktiert. Ich fang dann immer an, mich zu rechtfertigen. Dabei will ich doch nur erklären, dass das mein Problem ist und dass ich schon damit klar komme, wenn ich mehrere Anläufe brauche oder besonders hartnäckig und penetrant sein muss, um etwas durchzusetzen. Aber ich komme dann in einen Gewissenskonflikt, weil die mir doch bloß helfen wollen und das von Herzen gut meinen, da kann ich doch nicht einfach so undankbar sein und ihnen entgegenblaffen, dass sie sich um ihren eigenen Kram kümmern und mich in Ruhe vor meiner eigenen Haustür fegen lassen sollen. Ich sag schon Bescheid, wenn ich Hilfe brauche, nur will ich erstmal versuchen, selbst eine Lösung zu finden, bevor ich andere mit meinem Gedöns belästige.

Natürlich wäre ich gern manchmal einfach rücksichtslos, laut und unsensibel. Aber das entspricht einfach nicht meiner Persönlichkeit, deswegen bin ich doch kein hilfloses kleines Dummchen, das man ständig retten muss. Wenn mir etwas wichtig ist, dann bleibe ich schon am Ball und wenn ich das nicht tue, dann ist das ganz allein mein Pech oder es war doch nicht so wichtig. Außerdem hat doch alles seine Vor- und Nachteile. Manchmal ist das gar nicht so unschlau, erstmal die Lage zu peilen, auf den passenden Moment zu warten und dann erst seinen Mut zusammenzunehmen und zu handeln. Natürlich kann es dann sein, dass jemand einem die Chance wegschnappt, der erst handelt und dann nachdenkt – aber damit muss man dann halt leben und sich in dem Fall umorientieren.

Schüchternheit, Introvertiertheit und Zurückhaltung sind keine Krankheiten, die man behandeln lassen muss. Das sind einfach Persönlichkeitszüge, bestimmte Eigenarten oder Tendenzen des Charakters. Es muss auch leise Menschen geben, wenn alle laut und wild durcheinander krakeelen, alle die erste Geige spielen wollen und impulsiv handeln, bevor sie über die Konsequenzen nachdenken, dann funktioniert unsere Gesellschaft nicht mehr. Andererseits kommt man nicht vom Fleck, wenn immer alle „Bitte nach Ihnen“ – „Oh nein, nach Ihnen“ – „Ich bestehe darauf: Nach Ihnen“ sagen. Die Mischung macht’s und ich denke, wir können alle voneinander profitieren und uns was von den anderen abgucken. Introvertierte können von Extrovertierten Spontaneität und Durchsetzungsvermögen lernen. Extrovertierte können von Introvertierten Geduld, Feingefühl und Überlegtheit lernen. Aber nur, wenn alle aufhören, sich für etwas Besseres zu halten und den jeweils anderen (bewusst oder unbewusst) verbiegen zu wollen.

Essai 129: Über Unsichtbarkeit

26. Juli 2014

Es gibt so bestimmte Situationen im Leben, da ist das ganz praktisch, wenn man sich unsichtbar machen kann. Zum Beispiel, wenn man gemütlich durch die Stadt bummelt und Leute mit Klemmbrettern sieht. Ich klicke dann innerlich auf eine Art metaphorischen Lichtschalter und tarne mich mit Unsichtbarkeit. Zumindest, wenn ich rechtzeitig bemerke, dass das schon wieder irgendwelche Berufsnervensägen sind, die meine Meinung zu Weichspülern und Smartphones (benutze ich beides nicht) wissen oder unter Vorgaukelung edler Motive Geld haben wollen. Wenn nicht, werde ich fast immer angesprochen, vermutlich, weil ich irgendwie harmlos und leicht verarschbar aussehe.

Wenn man nicht auffallen möchte, ist es übrigens kontraproduktiv, sich innerlich wie ein Mantra vorzusagen „Bitte nicht ich! Bitte nicht ich!“ Außenstehende sehen nur, dass man sich unwohl fühlt und es ist gut möglich, dass sie dann erst recht aufmerksam werden und wissen wollen, was man hat. Dann zu sagen „Nichts“ wirkt wenig überzeugend. Ziel von Unsichtbarkeit ist ja, dass man seine Ruhe hat und nicht Mitleid oder gar Aufmerksamkeit erregt. Was meistens ganz gut funktioniert, ist das Bild mit dem inneren Lichtschalter, den man an- und ausknipsen kann. Oder man stellt sich vor, dass man unter einem Tarnumhang à la Harry Potter steckt. Wer es mit Fantasie nicht so hat, kann auch einfach den Blick abwenden und möglichst ins Leere schauen und sich dabei körperlich entspannen. Dann wirkt man ziemlich neutral und fällt nicht weiter auf.

Blöd ist jedoch, wenn dieser innere Lichtschalter einen Kurzschluss hat und man gelegentlich aus Versehen und ungewollt unsichtbar wird. Mir passiert das manchmal in größeren Gruppen, wenn viel Lärm und Gewusel um mich herum ist. Dann macht es „Plopp“ und ich bin plötzlich unsichtbar und unhörbar. Ich glaube, das liegt dann an der Reizüberflutung. Ich weiß gar nicht, worauf ich zuerst achten soll, weil so viele Reize und Eindrücke gleichzeitig auf mich einprasseln. Die versehentliche Unsichtbarkeit ist in dem Fall vielleicht auch ein Schutzmechanismus, der mir wieder etwas Ruhe verschafft. Ein bisschen wie eine Schnecke oder Schildkröte, die sich in ihr Häuschen beziehungsweise ihren Panzer verkriecht oder wie ein Igel, der sich einrollt. Trotzdem ist das doof, wenn man irgendwas Witziges oder Geistreiches sagen will und keiner kriegt es mit. Das muss ich dann wohl noch ein wenig üben.