Posts Tagged ‘Benehmen’

Essai 197: Über Schuld und Verantwortung

9. September 2020

Wenn ich mich auf Facebook mit beratungsresistenten Idioten herumstreite, die der Meinung sind, es gäbe weder Sexismus noch Rassismus noch sonst irgendeine Form von Diskriminierung, weil sie selbst das Glück hatten, nicht davon betroffen zu sein, fällt mir eine Sache immer wieder auf: Diese Leute verwechseln ständig Verantwortung und Schuld. Und da dachte ich, als eure Klugscheißerin der Herzen ist es meine Pflicht, darüber mal einen meiner küchentischphilosophischen Essais zu schreiben.

Was ist Schuld, was ist Verantwortung und was ist der Unterschied zwischen beidem? Es gibt ja durchaus Überschneidungen zwischen Schuld und Verantwortung und vielleicht lässt es sich nicht immer eindeutig trennen. Allerdings ist Schuld grundsätzlich negativ behaftet und Verantwortung ist ein eher neutraler Begriff. Wer schuldig ist, hat mit voller Absicht und wider besseren Wissens etwas getan, das anderen geschadet, ihnen Schmerzen oder Verletzungen zugefügt hat – obwohl der/die Schuldige auch anders hätte handeln können. Dass also niemand Schuld haben möchte, ist absolut verständlich.

Allerdings kann man sich auch aus Versehen daneben benehmen und andere verletzen, kränken oder ihnen schaden – weil man es nicht besser weiß, weil man in dem Moment ein Trampel ist, weil man es nicht so mit dem Feingefühl hat, weil man von sich auf andere schließt und einem das eigene Verhalten selbst nichts ausmachen würde … Da gibt es ja viele Gründe, weswegen wir alle unsere blinden Flecken haben und uns manchmal wie Arschlöcher benehmen, obwohl wir es nicht bewusst böse meinen. Und da kann man doch nicht mehr wirklich von Schuld sprechen, oder?

In diesem Fall finde ich dann den Begriff „Verantwortung“ sinnvoller. Denn Schuld liegt immer in der Vergangenheit, man kann sie nicht rückgängig machen, was passiert ist, ist passiert, was man getan hat, hat man getan. Man kann für Schuld büßen, sicher, aber lernt man auch wirklich etwas dabei? Oder geht man nach der Buße wieder mit federleichtem Gewissen hinaus in die Welt und trampelt wieder voller Absicht auf seinen Mitmenschen herum, weil sie in irgendeiner Weise anders sind als man selbst und man deswegen findet, man sei etwas Besseres als sie? Schließlich kann man danach ja wieder büßen und gut ist.

Übernimmt man aber Verantwortung für sein Verhalten, dann bezieht sich das auf die Gegenwart und die Zukunft. Dann begreift man, dass das eigene Verhalten Konsequenzen für andere haben kann, und bemüht sich, dass diese Konsequenzen nicht schädlich oder verletzend für die Mitmenschen sind. Während Schuld von der Frage getrieben wird, WER die verwerfliche Tat begangen hat, und das Finden eines Schuldigen, eines Missetäters zum Ziel hat, geht es bei Verantwortung um etwas anderes. Hier steht nicht die Person im Mittelpunkt, sondern das Verhalten. Die Fragen, die mit Verantwortung einhergehen, sind: Was kann ich tun, um diesen Missstand, dieses Fehlverhalten zu verbessern oder wenigstens nicht noch schlimmer zu machen und weiter zu verfestigen? Wie kann ich das Problem lösen? Wie kann ich Betroffenen helfen und sie unterstützen?

Geht es um Schuld, so ist das Thema in der Regel erledigt, wenn man den Schuldigen identifiziert und bestraft hat. Verantwortung fängt dann erst an, wenn man das Problem bestimmt hat. Verantwortung ist außerdem etwas, das wir alle übernehmen können, das muss man nicht alles alleine wuppen. Und eigentlich ist das doch etwas Gutes und sollte Hoffnung machen, oder?

Bezieht man diese Unterscheidung nun auf alltäglichen, unterschwelligen Sexismus und Rassismus, dann ist es meines Erachtens nicht sinnvoll, über Schuld zu diskutieren. Denn der absichtliche, bösartige Sexismus und Rassismus kommt gar nicht sooo oft vor und die, die sich dessen schuldig machen, sind Arschlöcher, denen man mit Verantwortung gar nicht erst zu kommen braucht. Die sollte man wegen Beleidigung oder Volksverhetzung anzeigen und nicht eine Diskussion auf Augenhöhe versuchen.

Aber was viel häufiger verbreitet und den Menschen oft nicht bewusst ist, ist der unterschwellige Rassismus oder Sexismus, der sich in verunglückten Komplimenten, scheinbar beiläufigen Bemerkungen, Vorurteilen oder anderen Mikroaggressionen äußert. Die Menschen, die diese Mikroaggressionen von sich geben, merken nicht unbedingt, dass sie sich sexistisch oder rassistisch verhalten. Schließlich hat sich noch nie irgendjemand vorher beschwert, sie haben ja selbst ausländische Freunde, soll doch jeder machen was er will, leben und leben lassen, sie sehen jedenfalls keine Farben und grundsätzlich haben sie auch überhaupt nichts dagegen, wenn Frauen und Männer gleichbehandelt werden, man müsse doch aber auch die kulturellen respektive biologischen Unterschiede beachten und so weiter und so fort.

Was passiert, wenn man diese Menschen nun wie Schuldige behandelt? Sie gehen in Abwehrhaltung, denn sie haben ja nichts Böses im Sinn und wollen niemandem absichtlich wehtun – sind also in ihrer eigenen Wahrnehmung unschuldig. Was wäre, wenn es gelänge, diese Menschen von ihrer Verantwortung zu überzeugen? Dann könnten wir alle zusammen an einem Strang ziehen, um die Welt ein bisschen gerechter zu machen. Dann könnte man sich sachlich und auf Augenhöhe mit Betroffenen über ihre Erfahrungen und Wünsche unterhalten, voneinander lernen, die blinden Flecken vielleicht ein wenig sichtbarer machen und ein Bewusstsein dafür entwickeln, wie man anderen Menschen seltener auf die Füße tritt.


Und, wie seht ihr das? Habe ich völligen Quatsch verzapft oder ist da etwas dran? Schreibt es mir in die Kommentare, widersprecht mir, stimmt mir zu, ich bin gespannt 🙂

Essai 194: Über Machtkämpfe in Kommentarspalten

1. Juni 2020

Vor Corona waren Verschwörungsschwurbler, zum Beispiel Impfgegner, vergleichsweise eine Randerscheinung in den sozialen Medien. Jetzt haben sie Oberwasser und rotzen ihren Blödsinn mit immer mehr Selbstvertrauen und Frechheit in die Kommentarspalten – egal, um welches Thema es ursprünglich ging. Diese Arroganz ohne jede Grundlage ist nervtötend, trotzdem ist es meiner Meinung nach wichtig, diesen gequirlten, unzählige Male in Faktenchecks widerlegten Mumpitz nicht einfach so stehen zu lassen. Wir müssen dem widersprechen. Aber wie?

Da gibt es im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: sachlich oder unsachlich. Ich bemühe mich immer um sachlichen Widerspruch. Eine einfache, aber effektive Methode, ist das Nachfragen. Wie kommt der Kommentierende auf die Idee, die er da verbreitet? Woher hat er seine Informationen? Was meint er mit Mainstream-Medien? Was ist seiner Meinung nach das Kernproblem, um das es in dem Post geht? Was will er eigentlich, was ist sein Ziel, was bezweckt er mit seinem Geschreibsel?

Dann bekommt man in der Regel noch ein paar zusätzliche Informationen, die einem erlauben, die Logik des Kommentars zu analysieren und auseinanderzunehmen. In der Folge wird man üblicherweise beleidigt oder zumindest wüst beschimpft, weil dann die Kommentierenden merken, dass man an ihrem Weltbild zu kratzen begonnen hat. Und das mag niemand.

Die überzeugten Verschwörungsschwurbler, die auf sachliche und logische Rückfragen und Kritik aggressiv reagieren, wird man nicht überzeugen können und das sollte auch nicht das Ziel sein. Aber es gibt unzählige stille Mitleser, die sich vielleicht noch keine Meinung zu der ganzen Chose gebildet haben, und wenn die sehen, da ist auf der einen Seite ein extrem aufgebrachter Wüterich, der auf höfliches Nachfragen und konstruktive Kritik ausfallend wird oder sogar völlig ausrastet, und auf der anderen Seite ein ruhig, sachlich und höflich argumentierender, vernünftig wirkender Mensch – dann, so meine Hoffnung, stimmt man eher letzterem zu.

Was ich ärgerlich finde, ist, wenn dann eigentlich vernünftige Menschen ankommen, die eigentlich der gleichen Meinung sind wie ich, aber die davon ausgehen, man müsse Feuer mit Feuer bekämpfen und es den aggressiven Schwurblern mit gleicher Münze heimzahlen. Die gefallen sich selbst in einem arrogant-herablassenden Ton, werden ausfallend, beleidigend und respektlos, höhnen im offensichtlich ironischen Tonfall, wie dumm doch der Schwurbler sei und können es einfach nicht lassen, sich auf seine Kosten erhöhen zu wollen.

Und das verstehe ich nicht. Was soll denn das?

Es ist absolut unnötig, persönlich ausfallend oder respektlos zu werden, wenn man sachlich recht hat. Wenn man überhaupt eine Chance haben will, das schwurbelnde Gegenüber noch zu erreichen, es zum Nachdenken zu bringen, Zweifel an den Verschwörungsideologien zu sähen, auf die es hereingefallen ist – dann MUSS man sachlich und respektvoll bleiben. Denn die Menschen, die auf diesen Budenzauber der Verschwörungsideologen hereinfallen, sind ja nicht zwingend Idioten. Vielleicht sind einige von ihnen naiv oder nicht sehr gebildet, ein paar haben vielleicht psychische Probleme oder ihnen fehlt es an einem Sinn in ihrem Leben oder sie sind auf der Suche nach Spiritualität etc. Selbst wenn einige wirklich klinisch dumme Menschen darunter sind – haben sie es dann verdient, dass man sie deswegen verhöhnt? Ich finde nicht.

Und wie gesagt: Selbst wenn die Betroffenen schon zu tief im Verschwörungssumpf versunken sind, gibt es Mitlesende, die vielleicht noch am Rande des Sumpfes stehen, und überlegen, ob sie dort eintauchen sollen oder nicht. Die hält man doch nicht davon ab, indem man andere Menschen herabsetzt. Im Gegenteil: Man riskiert, dass die Mitlesenden sich eher auf die Seite desjenigen stellen, der gerade bepöbelt und niedergemacht wird.

Meine Vermutung ist, dass eigentlich vernünftige Menschen, die Schwurblern oder Personen mit anderer politischer Einstellung als sie, von oben herab im genau gleichen unsachlichen Arschlochtonfall zu erniedrigen suchen, den diese Schwurbler selbst gern Andersdenkenden zuteil werden lassen, gar nicht darauf aus sind, irgendwen zu überzeugen. Die wollen ihr eigenes Ego plüschen. Es geht ihnen dabei nur um sich und darum, sich als was Besseres zu fühlen. Die brauchen das für ihr Selbstwertgefühl, andere herunterzuputzen. Und darin sind sie nicht anders als die Schwurbler, die sie bepöbeln.

Vor allem gehen bei diesen Machtkämpfen zuverlässig immer die vernünftigen, sachlichen und höflichen Kommentare unter. Die Diskussion verschiebt sich daraufhin vollkommen von der Sachebene weg auf die Ego-Ebene. Beide „Seiten“ plüschen ihre Egos um die Wette und wer als erster aus dem Machtkampf aussteigt, hat verloren. Dann hilft es auch nichts mehr, wenn ich noch dazwischengrätsche und versuche, das Ganze auf die Sachebene zurückzuholen, indem ich etwa frage: „Was wollt ihr eigentlich? Was meint ihr, könnt ihr auf einer Hygiene-Demo ohne Mundschutz und Abstand zum Ausdruck bringen, was ihr nicht auch mit Mundschutz und Abstand oder in einem offenen Brief zum Ausdruck bringen könntet?“

Nein, der Hahnenkampf ist im vollen Gange und beide „Seiten“ kämpfen verbissen darum, im Statuswettkampf das letzte Wort – und sei es noch so unsachlich und am Thema vorbei – zu haben. Das ist überhaupt nicht konstruktiv, höchst ermüdend und nervt. Man möchte am liebsten „Mars Attacks!“ zitieren, wenn der von Jack Nicholson verkörperte amerikanische Präsident fragt: „Why can’t we all just get along?“ – „Warum können wir nicht einfach mal alle miteinander klarkommen?“

Mit dieser Frage entlasse ich meine werte Leserschaft dieses Mal in einen hoffentlich entspannten Abend ohne Egogeplüsche und Statuswettkämpfe. Was meint ihr? Warum können wir nicht einfach alle miteinander klarkommen? Warum müssen ständig irgendwelche Leute ein Säbelrasseln und Schwanzvergleich vom Zaun brechen, anstatt die Sache inhaltlich zu diskutieren? Nervt euch das auch so wie mich oder bin ich empfindlich? Schreibt es mir in die Kommentare, ich bin gespannt. 🙂

Essai 192: Über das richtige Maß an Auffälligkeit

28. Dezember 2019

Es soll Menschen geben, die gern im Mittelpunkt stehen. Diese Zeitgenossen genießen es dann tatsächlich, die volle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, von allen beachtet zu werden. Sie verhalten sich dementsprechend auffällig, damit man sie stets bemerkt. Zu diesen Menschen gehöre ich nicht. Ganz und gar nicht.

Ich empfinde es als hochgradig gruselig, wenn ich ständig im Mittelpunkt stehe. Also, ich als Person – wenn ich einen Vortrag, eine Präsentation oder einen Workshop halte oder als Schauspielerin auf der Bühne stehe und eine Rolle spiele, ist das etwas anderes. Denn dann stehe nicht ich im Fokus, sondern der Inhalt meiner Präsentation oder des Theaterstücks. Und darauf kann ich mich vorbereiten. Aber wenn ich als Person im Zentrum der Aufmerksamkeit stehe, hasse ich das wie die Pest.

Dann denke ich, ich müsste jetzt irgendwas Interessantes, Fantastisches, Großartiges tun, um die mich Anstarrenden nicht zu enttäuschen, merke dann, dass mir überhaupt nichts Krasses einfällt, bin überzeugt davon, alle zu enttäuschen, und fühle mich schrecklich. Deswegen halte ich mich lieber im Hintergrund, checke ersteinmal die Lage, höre mir an, was andere Leute zu sagen haben, mache mir meine Gedanken, überlege, ob diese sachdienlich und zielführend sein könnten, und dann warte ich brav ab, bis ich an der Reihe bin oder eine ausreichend lange Gesprächspause entsteht, bevor ich meinen wohlüberlegten Gedanken höflich äußere.

Das Problem dabei ist, dass ich dann teilweise gar nicht an die Reihe komme und überhaupt gar nicht auffalle. Möglicherweise bekommt der eine oder andere in der Runde auch gar nicht mit, dass ich überhaupt da bin. Und dann kann ich auch meine wohlüberlegten Gedanken nicht äußern beziehungsweise gehen sie einfach unter. Da hat dann auch keiner was von.

Auf der anderen Seite will ich mich da aber auch gar nicht von Grund auf ändern, weil ich Menschen, die ständig überall im Mittelpunkt stehen und sämtliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen müssen, sehr anstrengend finde. Ich verstehe die Motivation dahinter einfach nicht. Warum sollte man das wollen, dass alle ihre Aufmerksamkeit auf einen richten, anstatt sich um ihre eigene Verantwortung zu kümmern? Da läuft man doch Gefahr, dass man dann für andere die Verantwortung mit übernehmen muss, dass sich alle darauf verlassen, dass man alles für sie regelt, und weil das nicht funktionieren kann, wird man alle anderen zwangsläufig enttäuschen. Und ich finde das ganz unerträglich, die Erwartungen anderer nicht zu erfüllen. Dann doch lieber gar nicht erst große Erwartungen wecken, indem man gar nicht erst auffällt. Oder?

Gleichzeitig nervt es mich aber auch, dass nie jemand auf mich hört, dass meine guten Ideen kein Gehör finden und niemand mitzubekommen scheint, was ich alles leiste.

Also, was tun? Muss ich mich da jetzt verbiegen und mich zur Rampensau umerziehen? Oder gibt es nicht vielleicht einen Zwischenweg? Ich möchte mich gern bei Bedarf in den Mittelpunkt stellen können, ohne dort stehenbleiben zu müssen. Wenn ich mein Anliegen vorgebracht habe, möchte ich mich aber wieder in den Hintergrund zurückmuckeln, wo ich in Ruhe überlegen kann, bevor ich was sage. Ich habe nur noch nicht herausgefunden, wie das gehen soll.

Irgendwie lasse ich mich immer wieder von lauteren Menschen übertönen und von aggressiveren, offensiveren Zeitgenossen überrumpeln, sodass ich ersteinmal nachdenken möchte, bevor ich entscheide, wie ich mich dazu verhalten will. Ich reagiere da instinktiv mit Rückzug. Und dabei habe ich überhaupt kein Problem damit, vor anderen Menschen über ein Thema zu reden oder eine Geschichte zu erzählen. Ich finde auch Lampenfieber eher spannend als quälend. Aber wenn ich unvorbereitet, spontan in eine Situation geworfen werde, in der ich gern etwas sagen möchte, aber noch nicht zuende gedacht habe, was das sein könnte, bekomme ich den Mund nicht rechtzeitig auf.


Wie geht es euch damit: Steht ihr gern im Mittelpunkt oder fühlt ihr euch da, so wie ich, extrem unwohl? Wenn ihr auch zu denen gehört, die lieber ersteinmal nachdenken, bevor sie sich äußern, wie verschafft ihr euch Gehör und Aufmerksamkeit? Schreibt es mir in die Kommentare, ich bin gespannt. 🙂

Essai 190: Über die Probleme anderer Leute

22. September 2019

In Internet-Diskussionen herrscht das Recht des Stärkeren – wobei mit „Stärke“ nicht Charakterstärke gemeint ist, sondern Lautstärke. Wer am aggressivsten herumpöbelt und am unfairsten kämpft, gewinnt. Das Spannende dabei ist, dass man eine Fülle an Beleidigungen lernt, die man Menschen wie mir angedeihen lassen kann, die sich vom Gepolter der Idioten unbeeindruckt zeigen und einfach weiter stur auf Gerechtigkeit pochen.

„Gutmensch“ ist dabei ja schon ein Klassiker. OK, ich hab den Begriff hier auf meinem Blog im „Essai 63: Über unhöfliche Weltverbesserer und Gutmenschen ohne Manieren“ auch schon abfällig benutzt, obwohl es ja eigentlich etwas Löbliches ist, wenn man ein guter Mensch ist. Ich meinte das allerdings in dem Sinne, dass jemand nur behauptet, er sei ein guter Mensch, sein Verhalten jedoch nicht sonderlich nett oder anständig ist. Also ein Heuchler. Die Pöbler im Internet meinen es wohl auch so, gehen aber anscheinend von vorneherein davon aus, dass alle Menschen, die sich bemühen, keine Arschlöcher zu sein, sich der Heuchlerei schuldig machen.

Ebenfalls sehr beliebt ist die Abkürzung „SJW“, die für „Social Justice Warrior“ steht und auch Menschen zugedacht wird, die Arschlochverhalten anderen gegenüber nicht unwidersprochen dulden wollen. Pöbler finden nämlich, dass es ein Zeichen von Schwäche sei, sich nicht wie ein egoistisches Arschloch zu benehmen respektive ein solches Gebahren zu kritisieren. Und um zu beweisen, dass sie selbst keine Schwächlinge sind, machen sie den als „SJW“ abgestempelten Zeitgenossen dann zusammen fertig. Zumindest versuchen sie es.

So, und nachdem ich so weit ausgeholt habe, komme ich nun auch zum eigentlichen Thema meines Essais: den Problemen anderer Leute. Es ist so, dass vor allem diejenigen als „SJW“ oder Gutmensch bepöbelt werden, die auch dann Mitgefühl mit anderen Menschen zeigen, wenn diese ein Problem haben, das sie selbst nicht von sich kennen. Arschlöcher hingegen brummen einfach „Wenn’s nicht mein Problem ist, ist es kein Problem“ in sich hinein und belehren als Nichtbetroffene dann Betroffene darüber, dass sie gar nicht betroffen sein können und dürfen, weil es schließlich kein Problem gebe.

Besonders häufig fällt mir das in Diskussionen zum Thema Rassismus, Sexismus und anderen Formen der Diskriminierung auf. Ich bin der Meinung, ich kann auch als weiße einsehen, dass es scheiße ist, aus reiner Rechthaberei darauf zu beharren „N****kuss“ statt „Schokokuss“ zu sagen. Zack, schon bin ich ein „SJW“. Ich denke auch, dass ich AKKs Karnevalsfrotzeleien über Menschen, die sich nicht eindeutig dem weiblichen oder männlichen Geschlecht zuordnen können, total daneben finden kann, auch wenn ich selbst eine Cis-Frau bin. Boooaaaaah, was bin ich doch für ein Gutmensch! Ich kann auch den berüchtigten „Danke, dass du nicht Papa bist“-Edeka-Werbespot sexistisch und elterndiskriminierend und überhaupt nicht lustig finden, selbst wenn ich keine Kinder habe. Mannomann, ich habe ja wirklich ü-ber-haupt keinen Sinn für Humor und gehöre wahrscheinlich einfach mal wieder so richtig durch-ge-bumst, damit ich wieder etwas lockerer werde, nicht wahr?

Ganz ehrlich? DAS KOTZT MICH AN!!!!!

Ich bin es leid, dass so viele Menschen offenbar kein Mitgefühl mehr mit ihren Mitmenschen empfinden, wenn diese ein bisschen von der Norm abweichen. Das ist echt nicht einfach, wenn man nicht dem Durchschnitt entspricht, in welchem Bereich auch immer. Man muss sich viel häufiger für das rechtfertigen oder erklären, was man ist, man wird oft miss- oder gar nicht verstanden, man wird immer wieder von Arschlöchern gepiesackt und die erwarten auch noch Dankbarkeit dafür … das ist ätzend. Gut, wenn es einem gelingt, damit zurecht zu kommen und sich dagegen zu wehren, dann macht es einen innerlich stärker und man lernt sich im Laufe des Lebens immer besser kennen. Aber das kostet SO VIEL KRAFT und manchmal möchte man doch auch einfach nur dazugehören.

Ich kann einfach nicht verstehen, warum es so vielen Menschen anscheinend schwerfällt, das zu begreifen und einfach mal nett zu Leuten zu sein, ob sie einem selbst nun ähneln oder ein bisschen anders sind. Das hat man sich ja schließlich nicht ausgesucht, von der Norm abzuweichen. Ich hab mir zum Beispiel ganz bestimmt nicht ausgesucht, sensibler und klüger als der Durchschnitt zu sein. Ja, klingt arrogant, weiß ich auch … aber ist halt so.

Soll ich mich jetzt jedem Arschloch gegenüber dümmer und plumper geben, als ich bin, damit sein fragiles Selbstwertgefühl, das nur darauf beruht, Probleme anderer Leute als nichtexistent abzuwatschen und sich mit anderen Arschlöchern zusammenzurotten, keine Kratzer im Lack bekommt? Das sehe ich nun überhaupt nicht ein. Trotzdem ist mir klar, dass es sich bestimmt leichter lebt, wenn man weniger Mitgefühl mit anderen hat und einem die Dummdreistigkeit von Arschlöchern nicht weiter auffällt, weil man zu ihnen dazugehört. Aber so bin ich nun mal nicht.

Ich will nicht sagen, dass jeder normale Durchschnittsmensch ein Arschloch ist. Bitte versteht mich da nicht falsch. Aber normale Durchschnittsmenschen, die die Probleme nichtdurchschnittlicher Menschen als nichtexistent verurteilen, obwohl sie gar nicht wissen, wie das ist, in deren Haut zu stecken … das sind Arschlöcher. Und die werden von mir auch in Zukunft mit meiner geballten Klugscheißer-Power aufs Höflichste darauf aufmerksam gemacht, dass sie sich schlecht benehmen. Es kommt nämlich niemand als Arschloch auf die Welt, sondern das ist eine Frage des Verhaltens – und das kann man ändern.


Und, mischt ihr euch manchmal in Diskussionen um Probleme ein, die euch streng genommen nicht selbst betreffen, weil euch das unfaire Verhalten der Pöbelarschlöcher auf den Zeiger geht? Wurdet ihr deswegen schon mal als „SJW“ oder „Gutmensch“ verhöhnt? Schreibt es mir in die Kommentare, ich bin gespannt 🙂

Essai 189: Über Stimmungsvergifter und Scheißlaune-Junkies

24. August 2019

Manche Menschen sind nur glücklich, wenn sie unglücklich sind. Sie inszenieren ihr eingebildetes Leid wie eine griechische Tragödie und geben keine Ruhe, bis sie alle mit ihrer miserablen Laune angesteckt haben. Es scheint ganz so, als bereite ihnen nichts auf der Welt größeres Vergnügen, als anderen die Freude und den Spaß zu verderben, die Stimmung zu vergiften und schöne Dinge zu ruinieren.

Was das soll, verstehe ich ehrlich gesagt nicht so ganz. Aber müsste ich jetzt küchentischpsychologisch ins Blaue hineinspekulieren, würde ich raten, dass es den notorischen Stimmungsvergiftern um Macht und Dominanz geht, und dass es irgendwie ihr Belohnungszentrum im Gehirn aktiviert, fröhlichen Menschen das Lächeln aus dem Gesicht zu schmettern. Ich nehme an, dass vermehrt Dopamin oder Adrenalin ausgeschüttet wird, wenn es ihnen gelingt, die Atmosphäre nach ihrem Gutdünken zu beeinflussen.

Zumindest habe ich so eine ähnliche Erklärung einmal in Bezug auf mobbende Hunde gelesen. Das ist nämlich hochinteressant, es gibt auch unter Tieren Mobbing. Hunde, die gern ihre Artgenossen mobben, verspüren einen unwiderstehlichen Belohnungseffekt, wenn sie andere unterbuttern. Und das macht quasi süchtig. Es ist möglich, ihnen das wieder abzuerziehen, aber einfach ist es nicht.

Der Unterschied zu Menschen, die gern andere ärgern, ist, dass man Hunde auch als Erwachsene noch erziehen kann. Aber habt ihr mal versucht, einen ausgewachsenen Menschen noch umzuerziehen? Kannste knicken. Klar, man kann immer noch was lernen, aber dafür muss man auch was lernen wollen. Und warum sollte so ein Arschloch lernen wollen, nett zu anderen zu sein und nicht dauernd den Spielverderber zu geben, wenn es sich für es so gut anfühlt, allen anderen seine beschissene Laune aufzuzwingen?

Außerdem ist es anstrengend, sich ein im Verlauf seines ganzen Lebens angeeignetes, für einen selbst bewährtes Verhaltensmuster abzugewöhnen und ein neues Verhalten zu lernen, von dem man gar nicht weiß, ob es sich genauso gut anfühlt. Diese Mühe wird sich wohl kaum jemand geben wollen, dem die Gefühle anderer grundsätzlich so scheißegal sind, dass er aus reinem Spaß an der Freude, die Stimmung zu verderben, dauernd auf den Gefühlen anderer herumtrampelt und wie ein Gockel auf den Ruinen der guten Laune auf- und abspaziert und sich dabei richtig geil findet.

Mich persönlich machen solche Leute stinksauer. Ich finde, sie sind faul und feige und machen es sich auf Kosten aller anderen verdammt leicht. Anstatt selbst etwas Schönes, Nettes zu erschaffen, machen sie das Schöne, Nette kaputt, das andere erschaffen haben. Das ist widerlich. Und dann schaffen sie es aber trotzdem, sich als Sieger zu fühlen und sich einzubilden, sie wären stark. Dabei sind sie schwach und kleingeistig und ein erbärmliches Nichts, sobald sie alleine sind. Sie brauchen es wie eine Droge, andere unterzubuttern. Wie armselig ist das?

So. Das musste mal raus.

Nun ist aber die Frage, wie geht man mit diesen Stimmungsvergiftern und Scheißlaune-Junkies um? Ändern kann man sie nicht wirklich. Zu ertragen sind sie eigentlich auch nicht, zumindest nicht für längere Zeit. Sie machen einen kaputt und genießen das.

Meiner Erfahrung nach, hilft nichts besser als Abstand und eine gewisse innerliche, unerschütterliche Heiterkeit, wenn man ihnen doch mal begegnet. Und man sollte sich mit den anderen Opfern des Scheißlaune-Junkies zusammenschließen – dann gelingt es ihm nicht so leicht, die Stimmung zu vermiesen. Ändern wird er sich dadurch wahrscheinlich nicht, aber immerhin kann man ihn so ein wenig ärgern.

Ein paar wohldosierte, mild-spöttische Bemerkungen sind ebenfalls eine gute Strategie, um dem Stimmungsvergifter ein wenig Wind aus den Segeln zu nehmen. Da ist aber Fingerspitzengefühl gefragt und man sollte sich sicher sein, dass die anderen Opfer hinter einem stehen. Sonst reagiert der Scheißlaune-Junkie aggressiv und wird zum Wüterich. Und dann wird’s unschön.

Ich sag dann zum Beispiel als Antwort auf irgendein Gemotze des Stimmungsvergifters, an die Zielscheibe des Gemotzes gewendet: „Tja, wie man’s macht, man macht’s verkehrt, ne?“ und ignoriere den Scheißlaune-Junkie gut gelaunt.

Oder, wenn mir ein solcher Zeitgenosse von seinen Luxusproblemen vorjammert und beleidigt reagiert, wenn ich darauf eingehe und zu einem Lösungsvorschlag ansetze, breche ich meinen konstruktiven Gesprächsbeitrag ab und sage: „OK, mach wie du denkst.“ Ganz wichtig: Freundlich bleiben, lächeln, nicht (offensichtlich) herablassend werden. Und dann elegant das Thema wechseln oder sich mit anderen Leuten unterhalten, die Interessantes zu erzählen haben.


Und, kennt ihr auch solche Leute, die ständig allen anderen die Stimmung vermiesen müssen? Wie geht ihr damit um? Schreibt es mir in die Kommentare 🙂

Essai 188: Über die dummdreiste Arroganz der Ahnungslosen

17. August 2019

Ich habe eine ganz schreckliche Vermutung: Möglicherweise bin ich intelligenter und gebildeter als der Durchschnitt. Wie ich auf diese anmaßend und eingebildet klingende Theorie komme?

Nun jaaa … ich bin, wie ihr wisst, viel in den Kommentarspalten sozialer Medien unterwegs. Und da begegnet einem ziemlich oft furchtbar dummes Zeug. Und ich kann und will unqualifizierten Quatsch nicht immer einfach so unwidersprochen stehen lassen. Am Ende glaubt das noch jemand, zum Beispiel, dass Impfungen mehr schaden als nutzen, dass es den Klimawandel gar nicht gibt, sondern dass die linksrotgrünversiffte Verbotspartei uns das nur einredet, um uns den Spaß zu verderben!!!1!111!!dankemerkel!!!1!12!“ Oder dass diese Ausländer an allem Schuld seien.

Und dann nehme ich es eben auf mich, und erkundige mich, wie die Kommentatoren auf diese Idee kommen. Manchmal, wenn ich müde und genervt bin von diesem haarsträubenden Ausmaß menschlicher Inkompetenz, schreibe ich auch sowas wie: „Was Sie da behaupten, stimmt nicht“, „Sie haben die Statistik falsch interpretiert“ oder „Sie haben sich offenbar nur auf Seiten informiert, die Ihre Sichtweise – die übrigens nicht den Tatsachen entspricht – bestätigen“.

So oder so: Es ist dann immer ein großes Hallo und die Leute, die den Quatsch verzapft haben sowie ihre ebenfalls geistig überforderten Zeitgenossen schießen sich auf mich ein, schreiben, ich wäre dumm und naiv und hoffentlich würde ich selbst mal von diesen „Rapefugees“ vergewaltigt/erleide selbst mal einen Impfschaden, dann würde ich ja wohl einsehen, wer Recht hat.

Seufz.

Was ich dabei immer wieder faszinierend finde, ist, dass meine Gesprächspartner offenkundig überhaupt keine Ahnung haben, was sie da reden, und das mit einer bestechend dummdreisten Arroganz einfach ignorieren. Bekannt ist dieses Phänomen auch als Dunning-Kruger-Effekt: Je inkompetenter jemand ist, desto eher überschätzt er seine eigenen und unterschätzt die Fähigkeiten seines (kompetenteren) Gegenübers.

Das begegnet mir gelegentlich auch im richtigen Leben, dass Leute in einem Brustton der Überzeugung irgendwelchen Scheiß behaupten, von dem ich entweder sofort weiß, dass es Blödsinn ist oder es durch eine kurze Recherche im Nachhinein als solchen entlarve.

So ein unerschütterliches Selbstvertrauen, selbst wenn man keine Ahnung von dem hat, was man da herausposaunt, hätte ich irgendwie auch ganz gern. Zumindest würde mir dann niemand mehr fiese Sachen an den Hals wünschen oder mich beleidigen, sondern dann würde man mir einfach alles abkaufen, was ich so an Unfug herauströte.

Dann würde ich vielleicht nicht ständig an mir zweifeln, Dinge hinterfragen oder so kreuzunglücklich darüber sein, dass niemand mehr heutzutage auf echte Experten hört und lieber Unfrieden stiftet, andere Leute mit Masern ansteckt oder weiterhin dazu beiträgt, die Erde zu zerstören, anstatt einmal kurz inne zu halten, zu reflektieren, ob der eigene Standpunkt überhaupt logisch ist, und dann wenigstens ein bisschen Demut zu zeigen.

Stattdessen hören dummdreist-arrogante Ahnungslose lieber auf Spinner, die unqualifizierten geistigen Dünnpfiff auf YouTube verzapfen, Hass säen oder beides gleichzeitig. Bestimmt fühlt es sich gut an, sich seiner selbst und seines (einfachen und nicht den Tatsachen entsprechenden) Weltbilds zu 100 Prozent sicher zu sein, zu einer Gemeinschaft anderer hasserfüllter Idioten zu gehören, die genau den gleichen Schwachsinn behaupten wie man selbst … da fühlt man sich bestimmt nicht so allein und so, als würde man gegen Windmühlen kämpfen, obwohl es völlig hoffnungslos ist.

Puh, das war jetzt ganz schön misanthropisch. Ich sollte solche polternden Vollidioten wahrscheinlich meinem eigenen Seelenheil zuliebe besser ignorieren. Aber das schaffe ich leider nicht. Ich denke, wenn man zu den Leuten gehört, die ein klitzekleines bisschen weniger dämlich sind als der Durchschnitt, hat man doch auch eine gewisse Verantwortung. Es gibt ja immer auch die stillen Mitleser oder die stillen Zuhörer, die sich nicht ganz sicher sind, ob der pöbelnde Dummdödel nicht vielleicht doch ein wenig Recht hat. Und da braucht es doch Menschen, die dagegenhalten, oder?

Komischerweise bin meistens ich diejenige, die dann als arrogante, eingebildete Intellektuelle dasteht, wenn ich Leute, die dummes Zeug behaupten, korrigiere. Anscheinend mögen es arrogante, eingebildete Dumpftröten nicht besonders, wenn man sie auf ihre Irrtümer aufmerksam macht. Dabei bin ich total höflich, ich sieze die Leute, ich bleibe sachlich, ich schreibe nie: „Halt die Fresse, du Honk“, sondern beziehe mich immer nur auf das Inhaltliche und kritisiere höchstens das Verhalten der Leute, werde also nicht persönlich ausfallend. Das scheint sie aber umso mehr zu reizen … verstehe ich gar nicht.


Und, wie sind eure Erlebnisse mit dummdreist-arroganten Ahnungslosen? Widersprecht ihr den Leuten? Oder habt ihr schon resigniert (ich selbst bin manchmal kurz davor …)?

Essai 187: Über passiv-aggressives Gruppenverhalten

20. Juli 2019

Weicht man ein klitzekleines bisschen von der Norm ab und gerät in eine Gruppe von Menschen, die das nicht tun, dauert es meist nicht lange, und man erlebt folgendes Phänomen:

Diejenigen, die der Norm entsprechen, also dem Durchschnitt, der Mehrheit, rotten sich zusammen. Und dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis man als Nicht-Normaler irgendetwas macht, was dem Durchschnittsgrüppchen sauer aufstößt. Man fällt in Ungnade. Und dann geht es los, das passiv-aggressive Gruppenverhalten.

Von einem besonders typischen Fall erzählte mir kürzlich eine Freundin, die mit einer Elternclique an der Schule ihres Sohnes in eine solche Situation geraten ist. Meistens gibt es dann in solchen Gruppen einen Anführer oder eine Anführerin, die die anderen Normalen gegen die Von-der-Norm-Abweichenden aufstachelt.

Dann darf plötzlich keiner mehr mit den in Ungnade Gefallenen reden. Es werden böse Blicke zugeworfen. Die Kinder werden nicht mehr eingeladen und das erfährt man dann von hinten rum durchs Knie ins Auge – und wenn man fragt, ob irgendetwas ist, wird das mit einem eisigen Lächeln und einem „Nee, wieso?“ quittiert. Das sind übrigens alles erwachsene Leute, nur mal so am Rande.

Ich erlebe das auch oft in Facebook-Kommentarspalten, dass man sich nicht gerade mit Beliebtheit bekleckert, wenn man es wagt, einen von der Mehrheit (in der Kommentarspalte) abweichenden Standpunkt einzunehmen. Da stürzen sich die Mehrheitsvertreter wie die Geier auf den Abweichler, um diesen unverschämten Knilch zu zerfleischen. Was fällt dem auch ein, sich seine eigenen Gedanken zu machen? Frechheit!

Sicher, man muss aufpassen, dass man der Mehrheit nicht einfach so um des Widersprechens willen widerspricht. Manchmal hat es ja auch einen triftigen Grund, warum etwas Mehrheitsstandpunkt ist – nämlich weil es einfach stimmt. Aber das meine ich nicht, sondern solche Situationen, wo es einfach nur um Meinungen, Sichtweisen und Geschmäcker geht. Oder wenn irgendein Vertreter der Mehrheit oder ein Mensch mit Macht Scheiße gelabert oder sich übelst in die Nesseln gesetzt hat, und man wagt, das zu kritisieren. Dann muss man nur bis drei zählen und die Geier kommen angeflogen.

Dann ist es vollkommen wumpe, wer Recht hat, wer Unrecht, wie gut man argumentiert oder wie eloquent man sich ausdrückt. Man wird einfach mit Bockmist überrollt, bis man genervt aufgibt. Wobei … in den Kommentarspalten verlassen die Leute relativ schnell die Gefilde des Passiv-Aggressiven und werden einfach nur aggressiv. Pöbeln, beleidigen, verspotten, verhöhnen, für blöd erklären, mit offenkundiger, humorfreier Ironie herunterputzen … da ist kein Mittel zu weit unten in der Schublade, um es nicht dem unverschämten Abweichler um die Ohren zu hauen.

Es ist aber insofern doch wieder passiv-aggressiv, weil ich mir ziemlich sicher bin, dass die Pöbler, die in den Sozialen Medien so großkotzig ihr Schandmaul aufreißen, um andere kleinzumachen, die sich dem Gruppendruck nicht beugen wollten, im wahren Leben, von Angesicht zu Angesicht, eher das Verhalten der Elternclique an den Tag legen würden. Also böse Blicke, hinterm Rücken des Betroffenen lästern, Gerüchte streuen, die Leute und ihre Angehörigen schneiden und ausschließen, bei direktem Kontakt aber aalglatt lächeln und so tun, als wäre alles fein etc.

Ehrlich gesagt, ich verstehe nicht, was das soll. Erstens lassen sich die meisten Konflikte im Keim ersticken, bevor sie entstehen, wenn man einfach mal sagt, was man will oder nicht will. Zweitens haben die Abweichler den „Normalen“ in der Regel überhaupt nichts getan. Drittens ist man doch, wenn man zur Mehrheit gehört, ohnehin in einer Vorteilslage und sowieso in einer Machtposition. Wozu dann noch Leute dissen, die von der Norm abweichen? Was soll denn das bringen?


Und, was sind eure Erlebnisse mit passiv-aggressivem Gruppenverhalten? Schreibt es mir in die Kommentare, ich bin gespannt. 🙂

Essai 186: Über Arschloch-Humor

24. Mai 2019

Über Geschmack und Humor lässt sich nicht streiten? Von wegen! Man braucht sich nur auf Facebook zu tummeln, da gerät man früher oder später in eine erbitterte Humor-Debatte, in der einem selbsternannte Witzrichter erklären, dass alles, was sie selbst lustig finden, auch lustig ist. Und wer das anders sehe, habe eben keinen Humor.

Was mir dabei auffällt: Oft entstehen solche Debatten dort, wo der Witz darauf beruht, andere herunterzuputzen. Wenn dann irgendwelche zartbesaiteten Seelchen wie meine Wenigkeit darauf hinweisen, dass das nicht sehr nett ist, braucht man nicht einmal bis drei zu zählen, schon kommen die Humorapostel und belehren einen darüber, dass das ja wohl überaus komisch sei und man sich halt nicht so anzustellen habe.

Ich nenne das Arschloch-Humor.

Ein Beispiel: Zum Muttertag vor zwei Wochen veröffentlichte Edeka einen Werbespot. Dieser Spot zeigte völlig überforderte Väter, die an den einfachsten Aufgaben im Umgang mit ihren Kindern scheitern, die als hässlich bezeichnet wurden und in Sachen Familie und Haushalt nichts auf die Kette kriegen. Am Ende sagt dann die Tochter zu ihrer Mutter: „Danke Mama, dass du nicht Papa bist.“

Wer sich dieses Machwerk noch einmal zu Gemüte führen will, bitteschön:

Es dauerte jedenfalls nicht lange, da beschwerten sich die ersten Männer und insbesondere Väter, dass sie sich diskriminiert fühlten und dass das überhaupt nicht lustig sei. Der Meinung bin ich auch. Zudem kommen auch Frauen nicht gut weg. Wir erinnern uns: Der Spot war für den Muttertag gedacht. Da werden die Mütter geehrt – eigentlich. Hier werden aber nicht die Mütter geehrt, sondern die Väter gedisst. Und ganz ehrlich, wie armselig ist das denn, wenn man seiner Mutter als einziges Kompliment machen kann, dass sie nicht der Vater ist? Und was ist das überhaupt für ein Kompliment?

Jedenfalls finde ich, da kann man ganz sachlich, indem man sich allein auf den Inhalt und den Kontext bezieht, festmachen, dass das nicht sonderlich geistreich ist. Das Humorprinzip beruht auf Schadenfreude und Erniedrigung anderer. Wer darüber lacht, tut das, um sich über die Erniedrigten zu erhöhen und sich als was Besseres darzustellen als die humorlosen Wursttröten, die schon wieder rumflennen, weil ein Werbespot gemein zu ihnen war. Und das, meine lieben Leserinnen und Leser, ist der Inbegriff von Arschlochtum.

Arschloch-Humor war übrigens auch der Karnevalsauftritt von Annegret Kramp-Karrenbauer. Intersexuelle als verunsicherte Männer darzustellen, die völlig verwirrt sind, weil sie nicht wissen, wie sie auf einer Unisextoilette pinkeln sollen, ist objektiv betrachtet völlig daneben. Da hagelte es also völlig zu Recht jede Menge Kritik.

Doch viele Nichtbetroffene, Nichtgemeinte, waren der Ansicht, sie müssten jetzt alle Betroffenen und Gemeinten, die mit diesem „Witz“ diskriminiert und ohne Not verspottet wurden, belehren, dass das ja wohl ein höchst amüsantes Bonmot war – und wer das nicht begreift, der hat nicht nur keinen Sinn für Humor, sondern sei überdies völlig verklemmt und dumm obendrein.

Doch ganz allgemein begegnet mir Arschloch-Humor immer wieder. Das reicht von der klassischen sexistischen Kackscheiße à la „Ooooh, das vermaledeite Weibsbild hat schon wieder ihres Mannes sauer verdientes Geld für Schuhe ausgegeben“ bis hin zu mobbingähnlichen Zuständen, in denen sich mehrere Arschloch-Humoristen auf ein aus ihrer Sicht humorloses Gänseblümchen einschießen, um ihm die Welt des Witzes zu erklären, die es ja offenkundig infolge unermesslicher Dummheit nicht begriffen hat.

Es reicht übrigens einfach, in irgendeinem Punkt von der Norm abzuweichen, um Ziel des Spotts solcher Arschloch-Humoristen zu werden. So trinke ich zum Beispiel keinen Alkohol, was für nicht wenige Facebook-User bereits eindeutiges Zeichen dafür ist, dass ich keinen Spaß verstehe. Wobei: Wenn der Spaß aus Arschloch-Humor à la „Oh, ich gehe mal gezielt auf eine Seite für Leute, die wenig Alkohol trinken, und reibe ihnen unter die Nase, wie doof die sind“ besteht, verstehe ich den Witz aber wirklich nicht.

Da ist mir irgendwann auch mal die Hutschnur geplatzt, als da schon wieder so ein wichtigtuerischer Heini ungefragt darüber informierte, dass er Alkohol trinkt, Diesel fährt, Fleisch isst und noch irgendetwas Stinknormales tut. Und dann habe ich ihm gesagt, dass er nur ein stinknormaler Durchschnittstyp sei, der sich wichtig machen wolle, und das auf Kosten von Leuten, die ein wenig von der Norm abweichen und ihm nichts getan haben. Uuuuund was wurde ich im Anschluss darüber belehrt, wie humorbefreit und empfindlich ich sei, ein linksrotgrünversiffter Social Justice Warrior, Gutmensch und bla. Ja nun, irgendwer muss doch diesen Arschlöchern auch mal sagen, dass sie Arschlöcher sind, sonst denken die am Ende noch, man fände sie toll.

Jedenfalls muss ich ganz ehrlich sagen, dass ich Menschen, die nur dann lachen können, wenn andere, die ihnen nichts getan haben, erniedrigt, beleidigt, verspottet oder gedemütigt werden, nicht besonders mag. Es ist eben ein Unterschied, ob man subversiven Humor betreibt, indem man satirisch und geistreich die Mächtigen und Stärkeren aufs Korn nimmt. Oder ob man völlig plump und platt einfach irgendwelche Klischees hinklatscht, ohne diese zu reflektieren, damit man Vorurteile als Tatsachen hinstellen und sich auf dieser Basis über Schwächere oder Minderheiten lustig machen kann. Ziel von letzterem ist, das eigene Ego zu plüschen und Beifall von anderen Arschloch-Humoristen einzuheimsen, und dafür ist einem jedes Mittel recht.


Und, wie seht ihr das? Habt ihr auch Beispiele für Arschloch-Humor? Oder findet ihr, ich solle mich gefälligst nicht so anstellen, sei ja schließlich alles nur Spaß? Schreibt es mir in die Kommentare, ich bin gespannt.

Essai 182: Über die Schreckensherrschaft der Wüteriche

1. Juli 2018

Wenn man jemand ist, der gern Ärger vermeidet, kann man sich schon mal auf ein Leben voller Kompromisse einstellen, die zu den eigenen Ungunsten ausfallen. Ich weiß das, weil ich selbst zu diesen konfliktscheuen Harmoniejunkies gehöre. Und nein, ich bin nicht stolz darauf.

Das Problem ist, dass es manche Menschen gibt, die kein Problem damit haben, immer ein Theater zu machen, wenn etwas nicht nach ihrem Willen läuft. Und hat man sich ersteinmal einen Ruf als Wüterich erarbeitet, dann machen die meisten Menschen das, was man will, ohne dass man erst einen cholerischen Anfall simulieren muss.

Das lässt sich zum Beispiel in Familien gut beobachten. Oft gibt es ein bestimmtes Familienmitglied, das es sich zur Gewohnheit gemacht hat, stets einen Tobsuchtanfall zu bekommen, wenn irgendwer nicht nach seiner Pfeife tanzt. Aber generell gibt es in jeder größeren Gruppe einen solchen Kandidaten.

Und dann machen alle anderen lauter Sachen, auf die sie eigentlich nicht die geringste Lust haben, nur um nicht schon wieder angeschrien zu werden. Der Wüterich hingegen gewöhnt sich daran, dass er so viel Macht über die anderen ausübt.

Wie aber kann man diese Dynamik durchbrechen? Denn eigentlich fühlt sich ja niemand so wirklich wohl dabei, nehme ich an. Jedenfalls nicht die ganzen aufgescheuchten Hühner, die ihr Bestes geben, im vorauseilenden Gehorsam die Wünsche und Bedürfnisse des Cholerikers zu erfüllen, in der Hoffnung, dass er einigermaßen friedlich bleibt. Wie sich der Choleriker bei dem ganzen Theater fühlt, kann ich nicht beurteilen – auf dieser Seite der Macht stand ich einfach noch nie. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass einen das auf Dauer glücklich macht, wenn man zwar die Ehrfurcht seiner „Untergebenen“ genießt, aber gar nicht weiß, wie das geht, mal selbst einen Kompromiss einzugehen, gleichberechtigt zusammenzuarbeiten und es einfach zu genießen, dass nicht ständig Gewitterwolken über den Köpfen hängen.

Bloß denke ich, dass der Brüllaffe gar nicht weiß, wie Nachgeben funktioniert, weil das immer nur die anderen machen. Man wird also wohl als eingeschüchterter Konfliktvermeider hin und wieder aufmucken müssen. Ab und zu freundlich, aber bestimmt, eine Forderung des Wüterichs ablehnen (am besten dann, wenn man diese wirklich nicht erfüllen kann und will, dann fällt es leichter, überzeugt zu wirken) – dann merkt er, dass man sich nicht so einfach herumscheuchen lässt. Und vielleicht, wenn man das oft genug gemacht hat und andere mitziehen, lässt sich der Choleriker bändigen.

Ob’s funktioniert, weiß ich nicht. Ich nehme mir das zumindest vor 🙂 Das Komische ist, immer, wenn ich mir vornehme, mir ein bestimmtes Verhalten nicht mehr gefallen zu lassen, und dann entschlossen darauf warte, dass sich eine entsprechende Situation ergibt, um meinen Vorsatz in die Tat umzusetzen – dauert es ewig, bis wieder eine solche Situation eintritt. Und bis dahin ist diese „Mir reicht’s jetzt, nächstes Mal gibt’s aber richtig Stress!“-Stimmung auch schon wieder verpufft. Aber, wie heißt es doch so schön: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Und, wie sind eure Erfahrungen mit Menschen, die jeden Ärger vermeiden wollen, und solchen, die ständig Ärger provozieren, um ihren Willen durchzusetzen? Gehört ihr mehr zu den Wüterichen? Oder mehr zu den Harmoniejunkies? Ich bin gespannt!

Essai 181: Über Weihnachten und wie man es für alle ruiniert

26. Dezember 2017

Weihnachten – das Fest der Liebe, des Friedens und der Freude. Zumindest für die meisten von uns und auch für mich. Normalerweise verlaufen unsere Weihnachtsfeste sehr harmonisch und wir verstehen uns in der Familie gut, jeder gibt sich Mühe, es sich miteinander möglichst schön und gemütlich zu machen.

Sagte ich „jeder“? Nun, das stimmt nicht ganz. Eine bestimmte Person in der Verwandtschaft kann irgendwie nicht anders, als Weihnachten für alle zu ruinieren. Für all diejenigen dort draußen, die es ihr gleichmachen wollen, gibt es hier jetzt ein paar Tipps.

1. Lade dich ungefragt bei Leuten ein, die du eigentlich nicht ausstehen kannst

Besagte Person kann Menschen im Allgemeinen und ihre große Schwester (meine Mutter) sowie ihre Nichten (meine Schwester und mich) im Besonderen eigentlich gar nicht leiden. Mein Vater betüddelt und tröstet sie immer, wenn sie mal wieder irgendeinen Pups quer sitzen hat, und meine Mutter geht bis an die Grenzen ihrer Kräfte, um Madame glücklich zu machen. Vielleicht kommt sie deswegen dann doch gern zu uns, um sich Bestätigung abzuholen oder keine Ahnung was.

Jedenfalls, sonst lädt sie sich nur für ein paar Tage über Silvester ein. Dann muss man sie nicht so lange ertragen und für die kurze Zeit kann man sich dann mit ein paar Mal tief durchatmen und sich mantraartig in Gedanken vorsagen „heute ist ein wunderbarer Tag“ soweit beruhigen, dass man keinen Wutanfall bekommt und sich um seinen Blutdruck sorgen muss. Und vor allem versaut sie einem dann nicht Weihnachten.

Dieses Jahr hat sie sich aus unerfindlichen Gründen dazu entschlossen, uns 10 (!) Tage mit ihrer Anwesenheit zu beglücken, also einen Tag vor Heiligabend bis einen Tag nach Neujahr. Wir hatten alle gedacht, dass sie vielleicht gerade eine Hochphase hat und mit ihrem Leben gerade nicht komplett unzufrieden ist, sodass ihr langer Aufenthalt nicht allzu schlimm wird. Na ja, aber wenn das ihre Hochphase ist, … Auweia.

2. Vergifte die Atmosphäre mit deiner Scheißlaune

Mein Freund und ich waren nur Heiligabend und den ersten Weihnachtstag vormittags da. Ich dachte, die kurze Zeit würde es schon gehen. Und schließlich hätte sie sich ja nicht für 10 Tage bei meinen Eltern eingeladen, wenn sie unerträglich gelaunt wäre, oder? Mein Optimismus verpuffte dann jedoch, sobald wir das Wohnzimmer betraten. Da saß sie dann zusammengesunken, mit hängenden Schultern und Mundwinkeln und strahlte ihren ganzen Missmut, ihre Bitterkeit und Menschenhass in die Gegend aus.

Gut, ich versuche dann immer, mich davon nicht zu sehr herunterziehen zu lassen, wenn andere eine Scheißlaune haben. Aber das schaffe ich nur mit Mühe und es zehrt an meinen Nerven. Ich probiere dann, mir zu sagen, dass das nicht persönlich gegen einen von uns gerichtet ist, sondern dass sie alle gleichermaßen wie Dreck behandelt.

Das ist so eine Art umgeleitete, passive Aggression. Sie ist unglücklich, gleichzeitig aber auch unfähig, ihren eigenen Anteil daran zu sehen, sondern sie ist überzeugt, dass alle anderen daran Schuld sind – und dafür büßen müssen. Für direkte Aggression ist sie aber zu faul und zu feige, deswegen wählt sie die passive Variante: Sticheln, Schmollen, emotionale Erpressung, andere zur Weißglut treiben, die ganze Palette.

Es funktioniert im Übrigen ganz hervorragend. Man hat tatsächlich ein quälend schlechtes Gewissen, dass man dieses arme Geschöpf, dem das Leben so übel mitgespielt hat, das überhaupt gar nichts dafür kann, dass es allein ist, dann auch noch so fies behandelt. Und dann macht man natürlich alles, was sie von einem verlangt oder unausgesprochen erwartet, in der (vergeblichen) Hoffnung, ihr doch ein kleines bisschen Glücksgefühl zu verschaffen. Spoiler: Das wiederum funktioniert nicht.

3. Gehe Leuten auf die Nerven, die gerade etwas spielen

Zum Glück begab sie sich dann in den Mittagsschlaf, nachdem sie übellaunig unsere freundliche Begrüßung über sich hatte ergehen lassen. Und – doppeltes Glück – der Mittagsschlaf dauerte fast 3 Stunden. Genug Zeit also, um sich mal in Ruhe mit den anderen Familienmitgliedern zu unterhalten, ohne dass sie beleidigt dazwischenquakt, weil es mal kurz nicht um sie geht. Und dann blieb sogar noch Zeit, „Siedler von Catan“ zu spielen.

Mitten in der zweiten Runde, es war gerade ziemlich spannend, weil meine Schwester soeben meinem Freund die Bonuspunkte für die längste Handelsstraße abgeluchst hatte, kam sie dann wieder herunter. Erst hegte ich die zarte Hoffnung, ihre Laune habe sich durch den Mittagsschlaf verbessert. Vergebens. Wobei – ein kleines bisschen weniger wehleidig war sie dann doch, dafür aber nicht minder garstig.

Jedenfalls sah sie uns alle da sitzen und friedlich miteinander spielen, da tigerte sie um den Tisch herum und gab unausgesprochen, aber unmissverständlich, zum Ausdruck, dass sie sich langweilte. Dann lief sie auch hinter uns auf und ab und atmete uns ihre Missbilligung darüber in den Nacken, dass wir es wagten, ohne sie Spaß zu haben. Weil uns das aber noch nicht vom Spielen abhielt, plärrte sie dann dazwischen: „Wann essen wir?“ oder „Was ist das denn für ein Spiel?“ oder „Braucht ihr noch lange?“

Aber auch das ertrugen wir alle mit der Geduld eines Zen-Meisters.

4. Ignoriere beim Essen sämtliche Tischmanieren

Schließlich gaben wir nach (wie immer) und unterbrachen unsere Partie, um zu essen. Meine Mutter hatte für meine Schwester und mich extra ein bisschen Soße ohne Pilze beiseite gepackt, weil wir die nicht so gern mögen. Meine Tante ignorierte den Hinweis „So, hier ist die Soße für euch beide“ und goss sich einfach mal die Hälfte davon auf ihren ansonsten leeren Teller. Unnötig hinzuzufügen, dass noch längst nicht alle am Tisch saßen.

Dann wollte ich mir gerade Kartoffeln nehmen, da verlangte sie selbige. Ich als artige Nichte, die keinen Streit will, gab ihr die Kartoffeln, wovon sie sich dann auch großzügig in ihre Soßenpfütze schaufelte. Als die Kartoffelschüssel einmal um den Tisch herum war, habe ich dann doch noch welche abbekommen, also alles gut, aber trotzdem. Man kann doch echt mal ein wenig höflich sein und fünf Minuten warten, bis man dran ist, anstatt gleich alles an sich zu reißen.

Als ihr Teller voll war, schlang sie alles laut schmatzend in sich hinein und kümmerte sich auch überhaupt nicht darum, sich fürs Kochen bei meiner Mama zu bedanken oder zu warten, bis alle was hatten oder sonst irgendwas, was sich an Tischmanieren eigentlich so gehört. Aber das reichte ihr anscheinend noch nicht.

5. Stelle indiskrete Fragen ohne jeden Grund

Also funkelte sie mich abschätzend an und fragte aus heiterem Himmel, ob mein Freund und ich schon ein Baby hätten. Dies verneinte ich, leicht irritiert über die Dämlichkeit dieser Frage, schließlich hätten wir ein vorhandenes Baby ja wohl mitgebracht. Sie ließ aber nicht locker. Nach meinem lapidaren „Nö“ musterte sie uns beide und fragte, wie alt wir denn seien. Ich: „35.“ Daraufhin sagte sie dann im gespielt vertraulichen Ton: „Ja, dann müsst ihr langsam mal ein Baby machen!“ – Fürs Protokoll: Sie hat keins.

Keine Ahnung, warum sie dieses Thema plötzlich anschnitt, das hat sie vorher nie gemacht. Vermutlich wollte sie gucken, wie sie mir eins reinwürgen kann, und meine biologische Uhr schien ihr ein geeignetes Thema. Da hat sie aber von sich auf andere geschlossen, denn ihr mag das Älterwerden was ausmachen, ich finde das eher spannend.

6. Sabotiere liebgewonnene Weihnachtstraditionen

Schließlich ging es an die Bescherung. Wir machen das in unserer Familie traditionell immer so, dass die jüngere Generation (also meine Schwester und ich inklusive Anhang) abwechselnd aufsteht, ein Geschenk auswählt und in die Runde fragt, für wen das ist. Dann lässt man den Beschenkten in Ruhe auspacken, unterhält sich danach noch kurz über das Geschenk, dann erst wird das nächste geholt.

Meiner Tante ging das nicht schnell genug. Ohne ein Wort zu sagen, wühlte sie sich durch den Geschenkeberg und knallte jedes Geschenk der entsprechenden Person – ohne diese eines Blickes zu würdigen – auf den Schoß. Dabei murmelte sie „Anonym“ vor sich hin, wenn ein Geschenk ohne Namen (den sie erkennen konnte) auftauchte. Das waren dann meine Geschenke, die ich nur dezent mit Namen versehen hatte, bzw. gar nicht, weil ich ja wusste, für wen die sind.

So entstand eine Unruhe, Hektik und Stress. Man konnte sich überhaupt nicht richtig anschauen, was man selbst und was die anderen bekommen hatten, weil man gleich schon das nächste Päckchen vor den Latz gepfeffert bekam. Man konnte sich auch überhaupt nicht über die Geschenke austauschen, sich darüber freuen und sich bedanken. Das ist meiner Meinung nach nicht Sinn der Sache.

7. Öffne anderer Leute Geschenke ohne zu fragen

Zu diesem Zeitpunkt schnaufte ich innerlich bereits wie ein Walross vor Zorn und musste mich mit aller Kraft zusammenreißen, um sie nicht an die Wand zu klatschen. Aber im Gegensatz zu anderen Leuten sind meine Frustrationstoleranz und Impulskontrolle recht gut ausgeprägt. Außerdem wollte ich es meiner Mutter nicht noch schwerer machen, als es ohnehin schon war, indem ich ihre Schwester vor versammelter Mannschaft zusammenfalte.

Dann fing sie aber an, ein „anonymes“ Geschenk nach dem anderen aufzureißen und mir („Da nimm“) in die Hand zu drücken – und dann reichte es mir.

8. Jemand reagiert verärgert auf dein Arschlochverhalten? Fang an zu flennen

Ich schoss vom Sofa empor, stürmte nach vorne und nahm ihr die „anonymen“ Geschenke aus der Hand. Sie guckte mich tief verletzt ob meiner Grobheit an wie ein getretener Hund und maulte: „Muss man halt mal die Namen draufschreiben“. Ich schnauzte: „Ich HABE die Namen draufgeschrieben. So. Das ist noch für Mama, das ist für Papa und jetzt ist gut.“ (Allerdings muss ich hinzufügen, dass mein „Schnauztonfall“ immer noch ziemlich freundlich klingt. Man erkennt nur, dass ich innerlich bis zum Anschlag gereizt bin, wenn man mich genau kennt und mein Verhalten im sonstigen Kontext betrachtet. Ansonsten klingt es einfach nur resolut.)

Dann packten wir – die Stimmung war hoffnungslos im Keller, aber dennoch versuchten wir, das Beste draus zu machen – die letzten Geschenke aus, unterhielten uns noch ein wenig – da fing sie plötzlich an zu schluchzen. Heulte sich die Seele aus dem Leib, sagte aber nicht, was denn verdammt noch mal jetzt schon wieder falsch war meine Fresse. Stand dann wortlos auf und ging in ihr Zimmer. Stampfte dort noch ein wenig hin und her. Knallte die Badezimmertür zu. Stampfte zurück in ihr Zimmer und legte sich dann (endlich!) schlafen.


So, wenn man sich an diese Vorgehensweise hält, kann man sicher sein, dass man allen anderen die Stimmung vermiest und es der Familie an Weihnachten zumindest vorübergehend genauso scheiße geht, wie man sich selber fühlt. Und das Beste ist: Man selbst ist nicht Schuld. Man kann überhaupt nichts dafür. Schließlich sind es ja die anderen, die einen dazu genötigt haben, sich wie ein asoziales Riesenarschloch zu benehmen, weil … darum. Die anderen sind halt immer gemein und so. Und dann pflaumen sie einen auch noch an, obwohl man gar nichts gemacht hat. Und bemitleiden einen noch nicht einmal, wenn man strategisch losflennt.

Grummel. Ich weiß auch ehrlich gesagt nicht, wie man solche Szenarien künftig verhindern könnte. Man müsste halt selbst zu unlauteren Mitteln greifen und meine Tante anlügen, dass Weihnachten bei uns keiner zu Hause ist. Problem: Wir sind in unserer Familie alle miserable Lügner. Oder man faltet sie mal so richtig zusammen (nicht so ein Mini-Wutausbrüchlein wie bei mir) und haut ihr einfach ihr ganzes Scheißbenehmen ehrlich um die Ohren. Dann ist sie vielleicht so nachhaltig beleidigt, dass sie sich im Folgejahr nicht wieder selbst einlädt.

Und, was sind so eure Katastrophengeschichten von Weihnachten?