Posts Tagged ‘Phänomen’

Essai 29: Über die Verfloskelung emotionaler Zustände

24. Juni 2008

Es ist allgemein bekannt, wie schwierig es ist, Gefühle in Worte zu fassen. Vermutlich ist es sogar unmöglich.

Statt es aber einfach zu unterlassen, über die eigenen Gefühle zu reden und sie statt dessen einfach zu zeigen, machen wir folgendes: Wir verfloskeln sie.

Wie schnell wird zum Beispiel aus „Ich liebe dich“ eine Floskel, wenn man sie nur noch aus Gewohnheit sagt.

Besonders in diesem Fall, sollte man diesen Satz so selten wie möglich sagen, damit er kostbar bleibt und nicht zur Lüge wird. Denn wenn man Gefühle erst verfloskelt hat und diese Floskeln nur noch gewohnheitsmäßig dahersagt, ist es bis zur Lüge nicht mehr weit.

Interessanterweise verfloskeln wir überwiegend Gefühle, die von der zarten, verletzlichen Sorte sind, wie eben Liebe oder andere Formen der Zuneigung. Oder sagen wir etwa „Ich bin ja so wütend“, wenn wir wütend sind? Nee, wenn wir wütend sind, wirklich wütend, dann explodieren wir. Oder wenn man wirklich verzweifelt ist, sagt man auch nicht „Ach und Weh, was bin ich doch verzweifelt“ – es sei denn man ist eine Figur aus Klingers „Sturm und Drang“ – nein, man ist eben verzweifelt und tut, was man so tut, wenn man verzweifelt ist. Dazu gehört dann am wenigsten, dass man sich mit Platitüden aufhält.

Warum ist das so? Meine Vermutung ist, dass wir bei den zarten, verletzlichen Gefühlen Angst haben, uns lächerlich zu machen oder verletzt zu werden. Deswegen flüchten wir uns in Floskeln und Sprüche, weil wir es nicht besser wissen und vielleicht auch nicht besser können. Während Wut und Verzweiflung so starke Gefühle sind, dass wir sie nicht für uns behalten können, dass wir sie zeigen müssen. Da bleibt dann keine Zeit mehr, noch nach der passenden Floskel zu suchen.

Essai 27: Über das Älterwerden

8. Juni 2008

Das erste Mal, dass mir meine eigene Vergänglichkeit schmerzlich bewusst wurde, war, als meine acht Jahre jüngere Cousine und mein zehn Jahre jüngerer Cousin mich nur fragend ansahen, als ich Roxette erwähnte.

Ich meine, Roxette, das ist Kult, das kennt man doch! Ich war sozusagen entsetzt! Und ein wenig traurig. Denn da wusste ich: ich werde älter. Ich verfalle. Der Verfall beginnt beim Musikgeschmack.

Oder kennt etwa noch einer von den HipHop-verkorksten Teenies Ace of Base? Haddaway? Nä. Die kennen dann nur Fifty Cent und die anderen „Pimps“, so nennt man das doch? Ich kann zum Beispiel nicht nachvollziehen, dass es Musik sein soll, wenn ein „pimp my Pimp“-„Homie“ mit dicker Goldkette und noch dickerem „pimp my ride“-Auto vor so „pimp my bi-atch“-Tussis mit „pimp my boobs“-Brüsten in knappen Bikinis herumposen, einen auf fat „pimp my pants“ machen und die ganze Zeit erzählen, was sie mit eben genanntem alles Dolles anzustellen wissen.

Nur weil da im Hintergrund ein paar Alibi-Bässe einsam und verlassen vor sich hin wummern ist das doch noch keine Musik? Früher, zu meiner Zeit, da hat HipHop noch was bedeutet. Da war das noch Ausdruck und Rebellion! Jetzt ist es ja nur noch eine Parodie seiner selbst. Und sowas vermittelt unserer Jugend Werte?

In den Neunzigern wurde noch gute Musik gemacht, der Inhalt war zwar nicht immer künstlerisch oder pädagogisch wertvoll („There’s a party“), aber man konnte immerhin noch dazu tanzen, jawohl! Und die Texte hatte man auch schnell drauf, so dass man mitsingen konnte („Ooh Lalala, I love you baby…“). Das hatte noch Stil.

Aber jetzt…

Ach und Weh ein einziges Trümmerfeld von Ansprüchen, Niveau und zerschmetterten Melodien, die zum remixen und reremixen verdammt sind. Und was ist mit dem guten alten Ghettoblaster? Tja, dafür gibt’s ja jetzt diese tollen Handys, mit denen man seinen Mitmenschen in der U-Bahn so schön die Nerven zersägen kann. Aber ein Gutes hat das Ganze: Wenn in zehn Jahren nicht die Spice Girls, die Backstreet Boys und Take That ihr Come-Back versuchen, sondern Bushido und wie sie alle heißen, dann hab ich was zu lachen. Da freu ich mich drauf.

Essai 24: Über Illusionen

30. Mai 2008

Die Illusion ist die erklärte Feindin sämtlicher Hobby-Psychoanalyse-Autodidakten.

Sie traktieren ihre Mitmenschen dann mit Allzweckargumenten, wie „Du darfst vor deinen Problemen nicht davonrennen“ oder „Du versteckst dein wahres Ich“ oder „Du verdrängst dein inneres Verlangen.“

Jeder, der einmal in die Fänge eines Hobby-Freuds geraten ist, weiß dann auch, dass man da am Besten gar nicht gegen protestiert, sondern lieber gleich sagt: „Du hast Recht, ich sollte mich meinen Ängsten stellen, nicht mehr vor meinen Problemen flüchten und den Tatsachen todesmutig ins Auge blicken.“

Damit sind die Probleme natürlich nicht gelöst, aber der Hobby-Freud ist fürs Erste beruhigt und lässt sein Opfer zumindest so lange in Ruhe, bis er merkt, das dieses das nur so gesagt hat. Deswegen ist das auch von enormer Wichtigkeit, das so überzeugend wie nur irgend möglich zu behaupten, sonst geht die küchentischpsychologische Analyse nämlich erst richtig los: „Nee, nicht bloß sagen, was du meinst das ich hören will. Hör auf, ständig die Erwartungen anderer Leute erfüllen zu wollen. Du musst an dich selbst glauben, dir mehr vertrauen. Sei du selbst.“ und was sich der Möchtegern-Therapeut sonst noch so aus Disneyfilmen und „Fantasy-Elfen-Drachen-Helden-Quatsch“ an originellen Weisheiten zusammengeklaut hat.

Nun aber zurück zu den Illusionen. Sind sie wirklich so schlecht, wie diese pseudolebensweisen Alles-Checker uns weis machen wollen? Oder ist es nicht vielmehr absolut lebensnotwendig, sich auch mal was vorzumachen? Objektiv betrachtet: Was macht das Leben schon für einen Sinn?

Das ist nicht neu, Albert Camus hat diese Frage schon vor 66 Jahren in seinem berühmten Sisyphos-Mythos behandelt, aber meiner Meinung nach trifft es den Nagel auf den Kopf.

Wenn man also die Absurdität des menschlichen Daseins als gegeben annimmt, so ist jeder Sinn, den wir unserem Leben geben, rein subjektiv und eine Illusion. Denn wenn man sich über den Sinn des Lebens keine Illusionen macht, wäre das Leben für einen sinnlos. Und wie deprimierend ist denn das?

Ich plädiere also für eine Rehabilitation des Begriffs der Illusion. Schlimm wird es doch auch nur, wenn man nicht weiß, dass die Illusionen, die man hat, Illusionen sind, sondern sie für die Wahrheit, für Tatsachen hält. Und wenn man dann irgendwann merkt, dass man sich was vorgemacht hat, gibt es einen Fehler in der Matrix und das ist dann nicht mehr so lustig. Aber gegen bewusste Illusionen ist doch nun wirklich nichts einzuwenden. Oder?

Essai 22: Über die Diktatur der ständigen Erreichbarkeit

25. Mai 2008

Gestern war ich todesmutig: Ich habe mein Handy einfach zu Hause gelassen. Ganz genau, einfach zu Hause gelassen. Und es war überhaupt nicht schlimm.

Meiner Meinung nach ist es sogar ganz gesund, wenn man sich dieser Diktatur der ständigen Erreichbarkeit einfach mal entzieht. Man denke doch einfach mal an die Zeiten zurück, es ist noch gar nicht lange her, in denen Handys Luxusgegenstände waren, die sich nur wohlhabende Geschäftsleute und deren protzaffinen Sprösslinge leisten konnten.

Das war schön entspannt in der U-Bahn, ohne diesen penetranten Klingelton-Terror, qualitativ unterirdischen Hip-Hop-„Beats“ aus schrottigen Handylautsprechern und dem permanenten telefonischen Seelenstriptease der Fahrgäste.

Denn, nein, es interessiert mich nicht, warum Biggi sich von Jonas getrennt hat und ich will auch überhaupt nicht wissen, dass Sandra heute einen schlechten Tag hat, weil ihre „best friend“ Cosma jetzt öfter mit Chrissie abhängt und und und.

Ein Handy ist nämlich ein – Achtung, jetzt kommt’s – Gebrauchsgegenstand. Man braucht es um zu telefonieren und eventuell SMS zu schreiben und um Termine zu speichern.

Das ist alles schön und auch sehr praktisch und drauf verzichten will ich auch nicht, da es doch sehr dazu beiträgt, zwischenmenschliche Beziehungen dadurch zu fördern, dass man Bescheid sagen kann, wenn man spät dran ist oder man Hilfe holen kann, wenn man in eine Notsituation gerät. Aber seine privaten Klatsch- und Tratschgeschichten und seine kleinen Wehwehchen und persönlichen Befindlichkeiten muss man doch nicht in aller Öffentlichkeit breittreten. Ich habe doch ein Recht auf Distanz, die ist schließlich für die eigene Privatsphäre unerlässlich.

Doch heutzutage verkommt das Handy immer mehr zum Missbrauchsgegenstand, mithilfe welchem die Privatsphäre und die gesunde Distanz, die man normalerweise unter wildfremden Menschen einhalten sollte, mit unerträglich lustigen und krampfhaft originellen Klingeltönen zu Tode geläutet wird, und dann hat auch noch die Werbung für sowas die Musikvideos aus dem Musikfernsehen verdrängt (zusammen mit dümmlichen Realitysoaps).

Vor zehn oder fünfzehn Jahren haben wir es doch auch geschafft uns zu verständigen, ohne ständig erreichbar zu sein. Ich für meinen Teil plane jedenfalls, mein Handy des Öfteren zu Hause zu lassen.

Oder?

Was wenn gerade dann jemand anruft?…

Essai 20: Über Partnerlook

25. Mai 2008

Normalerweise kennt man das ja von Paaren jenseits der fünfzig, dass sie anhand ähnlicher oder gleicher Kleidung ihr Zusammengehörigkeitsgefühl zur Schau stellen.

Da werden dann vom Mann und der Frau die gleichen roten Fleecejacken – Marke: Gemütlich – von Globetrotter spazierengetragen, möglichst auch noch garniert mit den gleichen Bauchtaschen, weil die so praktisch sind.

Neulich jedoch machte ich eine für mich schockierende Beobachtung: Ein junges Pärchen, so anfang zwanzig, promenierte lässig vor sich hin und das in Pullovern der exakt gleichen Farbe. Wenn diese exakt gleiche Farbe etwas würdevolles gewesen wäre, blau oder schwarz, meinetwegen braun oder dunkelgrün, dann hätte man es ja wohlwollend als Zufall abtun können. Aber es war ein barbieskes, kitischistisches Lila, das einem beim Anblick Augenschmerzen bescherte. Der arme Junge versuchte sich verzweifelt an seiner Zigarette festzuklammern und dadurch Coolness zu simulieren, was ihm in dem lächerlichen lila Pulli nicht so wirklich gelingen wollte. Ob er dieses Ding freiwillig angezogen hatte? Oder hatte ihn seine Freundin gezwungen? Ein Rätsel, das auf ewig ungeklärt bleiben wird…

Essai 19: Über Verallgemeinerungen

21. Mai 2008

Verallgemeinerungen sind immer und überall – egal worum es geht – vollkommen überflüssig. Das gilt grundsätzlich für alle Verallgemeinerungen, ganz allgemein. Also sollte man Verallgemeinerungen stets vermeiden, weil sonst alles komplett und total relativiert wird, so dass alles völlig relativ wird und niemals einen Sinn ergeben wird. Das ist so und wird immer so sein, bis ans Ende aller Zeiten.

Essai 18: Über Dinge, die umsonst sind

20. Mai 2008

An der Uni gibt es ein- bis zweimal im Semester Tage, an denen Überraschungstüten mit lauter mehr oder weniger nützlichen Werbegeschenken und Süßigkeiten verteilt werden. Das ist dann immer ein großes Hallo für die geistige Nachwuchselite unseres Landes. Dort lässt sich nämlich das gleiche bemerkenswerte Phänomen beobachten, wie immer, wenn es irgendwo etwas umsonst gibt. Plötzlich mutieren auch die noch so zurückhaltenden Damen zu wilden Furien und die sonst so gemütlichen Herren der Schöpfung kennen kein Halten mehr. Es wird geschubst, geschimpft, getrampelt und geflucht was das Zeug hält, um eine Tüte mit Flyern, Kugelschreibern und Schokoriegeln in die Hände zu kriegen. Man könnte meinen, man befände sich unter Rindviechern während einer Stampede. Aber nein, wir gehören noch immer zu der Kirsche auf der Evolutionstorte, sind immer noch mit unseren Zackenkollegen von der Schöpfungskrone und thronen auf dem Gipfel des Fortschritts. Das bekräftigt wieder einmal meinen Verdacht: Der Mensch ist ein Rindvieh und das Leben ein Kuhfladen.

Sollte sich an dieser Stelle eine Kuh, ein Bulle oder auch ein süßes kleines Kalb ob dieses Vergleiches diskrimiert fühlen, bitte ich vielmals um Entschuldigung.

Essai 15: Über innerhäusliche schwarze Löcher

15. Mai 2008

Bestimmt kennt jeder das berühmteste Exemplar innerhäuslicher schwarzer Löcher: den Waschmaschinen-Socken-Vernichter. Man wäscht ein Paar Socken, heraus kommt nur eine. Die andere ist auf unerklärliche Weise verschwunden, hat sich in Luft aufgelöst oder – wie ich einmal geträumt habe – wurde von Außerirdischen, deren Anführer Arnold Schwarzenegger ist, radioaktiv verseucht, um die gesamte Menschheit zu verzombiefizieren.

Weniger bekannt, aber darum nicht minder gefährlich, sind die schwarzen Löcher, die sich irgendwo im Haus befinden, aber nicht genau lokalisierbar sind. Sie schlucken dann alle möglichen Gegenstände. Das kann mal ein Nagelknipser sein, oder ein Haargummi. Manchmal verschwinden aber auch ganze Kochtöpfe. Wir haben zum Beispiel haufenweise Tupperdosendeckel in der Küche, aber die dazu gehörenden Tupperdosen hat sich das schwarze Loch einverleibt. Nur eine einsame Tupperdose fristet im Schrank ihr trauriges Dasein. Auch sie ist unbrauchbar. Das schwarze Loch hat ihren Deckel entführt.

Ein drittes Exemplar dieser Spezies beeinflusst auf fatale Weise das Raum-Zeit-Kontinuum. Es sorgt dafür, dass jeden Morgen zwischen dem Ende des Frühstückens und dem tatsächlichen Verlassen des Hauses regelmäßig fünf bis fünfzehn Minuten plötzlich verschwunden sind und man doch wieder laufen muss, um die Bahn noch zu kriegen, dabei ist man doch extra – um das zu vermeiden – schon zehn Minuten früher aufgestanden. Man schaut auf die Uhr, wenn man mit dem Frühstück fertig ist: Klasse, noch massig Zeit. Man will sich die Schuhe anziehen, schaut nochmal auf die Uhr: Nanu? Wo sind denn die zehn Minuten abgeblieben? Diese innerhäuslichen schwarzen Löcher sind tückisch und sie lauern überall!