Essai 94: Über misslungene Werbung

Als ich letzte Woche mit dem Intercity von Hamburg nach Stuttgart juckelte, hielt ich in jeder größeren Stadt zwischen dem Norden und dem Süden Deutschlands. An jedem Bahnhof kreischten mir diverse Werbeplakate entgegen. Und das mit so miesen, unhöflichen, dummen, grammatisch mindestens fragwürdigen oder unfreiwillig komischen Sprüchen, dass ich mir dachte, das lohnt sich doch mal einen Essai drüber zu schreiben. Wenn ich daran denke, wieviel Geld für Werbung ausgegeben wird und dann ist die auch noch schlecht, dann weiß ich nicht, ob ich lachen oder weinen soll.

Aber so ist das heutzutage, da wird versucht, die Fassade auf Hochglanz zu polieren und ob es dahinter fault und gammelt, interessiert keine Sau. Schlimm. Das Ding ist, mit der Werbung ist das ja wie mit Krieg, Waffen und Gewalt. Tut es einer, muss es jeder machen. Wenn einer Krieg führen will und jemand anderen angreift, muss der sich ja irgendwie verteidigen. Wenn nur einer eine Waffe trägt, müssen andere auch eine Waffe tragen, um sich zur Not vor dem Kerl mit der Waffe verteidigen zu können. Hätte niemand eine Waffe, bräuchte niemand eine. Würde niemand einen Krieg anzetteln – sei es aus Angst, selbst angegriffen zu werden – gäbe es keine Kriege. Und so ist das allgemein mit Gewalt. Würde niemand damit anfangen, andere Leute mit Gewalttätigkeit zu belästigen, provozierte er damit auch keine Gegengewalt oder präventive Gewalt oder was auch immer. Und genau so müsste niemand allen anderen mit dämlicher Werbung auf den Wecker fallen, wenn es niemand täte. Dann müsste man nämlich nicht darüber nachdenken, wie man seine eigene Fassade noch heller und strahlender glänzen lässt als die der Konkurrenz und alle könnten in Ruhe ihre Arbeit machen, anstatt sich über oberflächlichen Image-Scheiß den Kopf zu zerbrechen. Ja, ja, ich weiß, ich bin naiv. Aber ist doch wahr!

Wenn Werbung interessant, witzig, klug und informativ ist und bestenfalls nicht allzu verlogen, habe ich absolut nichts dagegen, dass Leute auf sich und das, was sie tun und womit sie Geld zu verdienen gedenken, aufmerksam machen und in aller Höflichkeit hinweisen. Aber – ich weiß nicht, woran das liegt – die meiste Werbung ist unhöflicher, witzloser, dummer, penetranter Nervkram. Dabei wäre weniger mehr. Wenn ich zum Beispiel an diese wahnsinnig schlechte Zigaretten- oder Tabakwerbung denke, die mit dem umständlichen Spruch wirbt: „Rauchen, was andere denken, dass Sie rauchen“, dann bekomme ich Lust, aus Trotz mit dem Rauchen anzufangen, nur um es gleich wieder aufgeben zu können. Überdies ist der Spruch auch noch grammatikalisch falsch. Wer den Fehler findet, kriegt von mir einen virtuellen Keks (die sind lecker und machen nicht dick). Ich kapier auch nicht, inwiefern dieser Spruch nun selbst den stärksten Kettenraucher dazu animieren soll, ausgerechnet diese Zigarettenmarke zu kaufen. Das Einzige, womit man Leute heutzutage noch zum Rauchen bewegen kann, ist doch dieses Cowboy-Freiheits-Individualitäts-Gedöns. Wobei ich nicht weiß, was Nikotinsucht mit Freiheit zu tun hat, aber das ist ein anderes Thema. Und nun kommen die mit so einem dummen Spruch, der nicht nur kein richtiges Deutsch ist und nicht nur holprig formuliert, sondern noch dazu die Botschaft vermittelt: „Sei berechenbar. Vermeide Überraschungen. Rauche einfach unseren Tabak, weil alle denken, dass du genau das tust“. Wer denkt sich so was aus?

Eine andere Unart, die sich vor allem auf Produkte bezieht, die eine jugendliche Zielgruppe anzusprechen versuchen, ist das ungefragte Duzen der potentiellen Kunden. Nun zähle ich mit meinen dreißig Lenzen vielleicht nicht mehr unbedingt zu den Jugendlichen, aber nichtsdestotrotz benutze auch ich gelegentlich Shampoo, um mein Haar seidig glänzend zu machen. Und dann will ich bitteschön nicht von meiner Shampooflasche geduzt werden. Und Befehle nehme ich auf die Art sowieso nicht gern entgegen. „Genieße das absolute Dufterlebnis“ oder „Erlebe jetzt die prickelnde Apfelfrische“. Manche Werbefuzzis gehen dann so weit, dass sie die Kunden auch noch grafisch anbrüllen mit ihrer ohnehin schon nicht subtilen Message. So gesehen auf einem Werbeplakat für irgendein superdupertolles Einkaufszentrum: „GENIEßE JETZT DAS TOTALE EINKAUFSERLEBNIS!“ So ein Käse, als ob jetzt dieses Einkaufszentrum anders wäre als jedes andere Einkaufzentrum zwischen Hamburg und Stuttgart. Die sind doch alle gleich. Der einzige Grund, warum man ein bestimmtes Einkaufszentrum öfter frequentiert als ein anderes, ist die räumliche Nähe. Man braucht irgendwas und das Einkaufszentrum XY liegt zufällig auf dem Weg, dann geht man da hin. Aber man wird nicht extra kilometerweit woanders hingurken, nur weil ein riesiges Werbeplakat mich anbrüllt, ich solle jetzt gefälligst umgehend das totale Einkaufserlebnis genießen. Was auch immer mit „totales Einkaufserlebnis“ gemeint ist. Total deprimierendes Neonlicht? Total nervige laute Musik in den Geschäften? Total schlechte Klimaanlagenluft im Gebäude? Total viel zu viele Menschen auf total viel zu wenig Raum, die einen dauernd anrempeln oder total im Weg herumstehen? Total die immergleichen Geschäfte? Oder totaler Quatsch? Außerdem, vielleicht bin ich da etwas empfindlich, aber auf Kommando irgendwas genießen, erleben, fühlen oder spontan empfinden gehört nicht unbedingt zu meinen Kernkompetenzen.

Als ob es nicht schon schlimm genug wäre, dass Werbung die Menschen mit ungefragtem Geduze, penetrantem Anbrüllen und plumpen Befehlen malträtiert, werden auch noch die dümmsten Klischees darin verwurstet. Ist das sonst schon mal jemandem aufgefallen, dass in Werbespots immer die Mütter zu Hause bleiben und die Kinder verwöhnen? Die Kinder in der Werbung sind übrigens ausnahmslos altkluge Nervensägen, schlechte Rapper oder kreischende Hohlbratzen. Mit Verlaub. Meistens sind auf wundersame Weise auch alle immer unglaublich blond. Es sei denn, es geht um Werbung für Medikamente gegen Verstopfung, Blähungen, Inkontinenz oder Fußpilz. Derlei gesundheitliche Unannehmlichkeiten ereilen in der Werbewelt überwiegend brünette Frauen. Sachen für Mädchen sind grundsätzlich schreiend rosa und für Jungs natürlich blau. Für echte Männer sind die Produkte dann in Schwarz oder Dunkelblau und immer ungemein männlich. Das heißt, Autos sind schnell (kann man prima vor seinen Kumpels mit angeben), Rasierer unheimlich scharf (*knurrrrr*) und wenn mal ein Mann den Abwasch macht oder kocht, dann ist der immer unglaublich lustig drauf. Bei letzterem wird allerdings dann immer relativ undezent darauf hingewiesen, dass der Mann jetzt aber auch nur aus Spaß oder reiner Großzügigkeit Haushaltstätigkeiten vornimmt. Immer als Ausnahme und aus einer freien Entscheidung heraus, nicht weil Mutti ihn dazu gezwungen hat oder er von alleine eingesehen hat, dass das einfach ab und zu mal gemacht werden muss. Wo kämen wir denn dann hin. Und so werden Vorurteile schön weiter geschürt, damit auch ja keiner auf die Idee kommt, zu glauben, Männer und Frauen wären gleichberechtigt. Pfff. Sonst noch was?

Manche Werbefuzzis sind da noch raffinierter und schreiben einfach irgendeine Selbstverständlichkeit vorne drauf und verkaufen es als große Sensation. Dann steht zum Beispiel auf der Gummibärchenpackung: „Ohne Fett“. Ach nee. Wozu sollte man in einem Produkt, das fast nur aus Zucker besteht, Fett brauchen? Da kann man auch gleich draufschreiben: „Ohne Zyankali“. Aber dann merken die Kunden, dass sie verarscht werden. Demnächst klebt in der Gemüseabteilung wahrscheinlich an so nem Brokkoli auch noch ein Etikett dran, wo draufsteht: „Ohne Zuckerzusatz.“ – Nein, das war kein Vorschlag, das war Sarkasmus. Und „Light“-Produkte sind übrigens auch Verarsche, das nur so am Rande. Die machen dann einfach die Salamischeiben dünner. Und wenn man dann statt einer dicken Scheibe fünf dünne aufs Brot packt, macht das genau so fett. Traurig, aber wahr.

Ich habe ja nichts dagegen, dass man sein Unternehmen und sein Produkt präsentiert, aber bitte, liebe Werbeleute, hört doch endlich auf, die Leute wie Idioten zu behandeln. Das ist voll das totale Nerverlebnis! Macht doch einfach mal gute Werbung. Dann müsst ihr auch nicht so viel Werbung machen und dann ist mehr Geld für wirklich relevante Dinge da und dann müsste man den Laden nicht durch Praktikanten, Studenten und Freiberufler am laufen halten, weil für Festangestellte angeblich kein Budget vorhanden ist.

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3 Antworten to “Essai 94: Über misslungene Werbung”

  1. fairgame8008 Says:

    Ich war ja auch mal so’n Werbefuzzi. Und hab da auch mal für ein Einkaufszentrum Vorschläge gemacht. Und wollte da einen Schlogan platzieren, den der Kunde einfach nicht wollte:
    „XY – Das Einkaufsfreudenhaus.“ Das wäre natürlich genial gewesen und hätte den Umsatz enorm gesteigert. Vor allem meinen.

    Das Verrückte dabei ist, dass solche Dinge, diese ganze Sprücheklopferei und Glamourerei (ich bin halt Schweizer, für mich klingt mourerei nach Mohrerei, was Schweinerei bedeutet – eine Mohre ist ein Mutterschwein) – dass also solche Glamourerei, die Dich sehr zu ärgern scheint, noch relativ harmlos ist. „Gschäch nüüt Bösers“, geschehe nichts Schlimmeres! Doch Bösers geschieht:

    Wirklich fies wird’s da, wo man’s fast nicht als Werbung und Marketing bemerkt. Wenn z.B. der exakte Moment des Preisnennens im Verkaufsablauf exakt so eingepasst wird, dass er hochwahrscheinlich nicht zur Ablehnung führt und an Vergleiche nicht mehr gedacht wird. Simple Änderung und Steuerung dieses Moments hat in einem mir bekannten Fall die Umsätze verdoppelt.

    Da ist natürlich nichts Illegales dran. Aber es ist, in meinen Augen, ein Verstoss gegen jede Moral oder Ethik oder Fairness gegenüber dem Kunden. Wie jedes andere Unternehmen sabbert auch dieses Floskeln wie „im Dienste der Kunden“, „wir geben unser Bestes für Sie“ und so fort. Und während solche Vorstellungen wie „Einkaufsfreudenhaus“ einfach übertrieben sind oder als Witz oder Dummheit erkannt werden, sind die vermittelten Vorstellungen von Ehrlichkeit, „für Sie“, Engagement dafür, dem Kunden wirklich einen Dienst zu erweisen, Fairness etc. etc. angesichts der Manipulationen wie in meinem Beispiel BLANKE LÜGEN, die aber von den meisten kaum je als solche begriffen werden. Man hält den absoluten Wasserpegel von Marketing und Austausch im Markt für ehrlich, engagiert und mitmenschlich, mit allenfalls ein paar Wellen von kleinen Betrügereien und schamloser Manipulation an der Oberfläche. Es ist genau umgekehrt. Es gibt vielleicht beim einen oder anderen Kleinunternehmer noch sowas wie echtes Engagement, seinen Mitmenschen Gutes zu tun (halt gegen Geld, aber nicht NUR um es zu kriegen, sondern mit einem echten Interesse, dafür das Bestmögliche zu geben). Bei allen Grossen und auch den meisten Mittleren und Kleinen ist davon schlicht nichts mehr da – ausser eben, vielleicht einem leichten Kräuseln an der Oberfläche, wo man tatsächlich für die Konsumenten denkt, wenn es für die Umsätze und Gewinne absolut keine Rolle spielt. Und viel von der fiesen Manipulation da, wo es NUR um Umsätze und Gewinne geht, ist Werbung und Marketing, die der Kunde gar nicht als solche wahrnimmt. DAS ist „gute Werbung“ … viel Schaum schlagen für Kleinigkeiten, der die Sicht darauf versperrt, wie das, was den Kunden wirklich Verbesserungen bringen würde, ihnen hemmungslos vorenthalten wird. Wegen Marktanteilen und Profiten, und mit den Konsumenten als Manövriermasse, die nichts davon bemerkt.

    Es gibt also „gute Werbung“. Allerdings nicht ganz in dem Sinn, wie Du sie wohl meinst. Es ist die Werbung, von der man nichts merkt, oder vielleicht merkt, aber nicht spürt, wie sie auf einen wirkt. Die findet natürlich niemand „gut“ als die Bosse und Aktionäre der Hersteller und Verkäufer. Ich finde sie allerdings viel ärgerlicher als ein paar dumme Sprüche, Übertreibungen oder Unterhaltungs-Sponsoring. Seltsamerweise lese und höre ich immer wieder Kritik wie die Deine, aber kaum je solche wie diese meine. Drum hab ich sie jetzt einmal aufgeschrieben.

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  2. Isabelle Dupuis Says:

    Also, ich finde „das Einkaufsfreudenhaus“ um Einiges witziger und passender für ein Einkaufszentrum als so einen Quatsch, wo man die Kunden im Kasernenton anbrüllt, sie hätten jetzt gefälligst umgehend das totale Einkaufserlebnis zu genießen und keine Widerrede!

    Ich denke schon, dass diese subtile, unterschwellige Werbung besser funktioniert als diese plumpe, ungeschickte, die ich kritisiert habe. Wenn man das nutzt, um den Menschen Schrott oder unnützen Mist, den keiner braucht, aufzuschwatzen, ist das in der Tat unfair, da stimme ich dir zu.

    Allerdings wenn man subtil, ehrlich und authentisch und vielleicht noch mit etwas Witz und Charme die Vorzüge eines Produkts hervorhebt, halte ich das für gute Werbung, die trotzdem fair bleibt. Ich denke, diese Art von Werbung spricht dann auch die Leute an, die sich ohnehin für das Produkt interessieren.

    Nett finde ich beispielsweise die Werbung für diesen einen Schokoriegel, wo auf mehrere Spots verteilt eine kleine Liebesgeschichte zwischen einer Schokoladentafel und einem Milchglas entsponnen wird. Deswegen renne ich nicht gleich zum nächsten Supermarkt und kaufe haufenweise Schokoriegel, aber ich bin mir sicher, wenn ich das nächste Mal auf der Suche nach etwas Süßem bin, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich zu dieser Sorte greife, höher als die zu einer anderen.

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  3. Essai 143: Über Feminismus | Isa09 - Angry young woman Says:

    […] des Berliner Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg einen Zehn-Punkte-Plan gegen frauendiskriminierende Werbung verfassten. Jan Fleischhauer hatte in seiner Spiegel-Kolumne darüber berichtet. Grundlos […]

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