Essai 77: Über chronische Entschuldigeritis und Rechtfertigungszwang

Es tut mir schrecklich leid, das zugeben zu müssen, aber ich gehöre zu diesen unerträglichen Zeitgenossen, die sich ständig für alles entschuldigen müssen. Da bin ich wohl ein hoffnungsloser Fall.

Manchmal – das ist echt schräg – entschuldige ich mich auch für Dinge, für die ich nichts kann und dann entschuldige ich mich dafür, dass ich mich entschuldigt habe. Ein wandelnder Schuldkomplex, sozusagen. Schlimm.

Zum Glück ist mein Umfeld da durchaus tolerant. Häufiger heißt es da: „Hör auf dich zu rechtfertigen“ und dann sage ich immer: „Sorry, tut mir leid.“

Doof, ne?

Das ist so die Möbius-Schleife des Sich-Rechtfertigens. Das Gemeine an diesem Rechtfertigungszwang ist, dass man sich selbst damit zu einer leichten Beute für gewiefte emotionale Erpresser macht. Da reicht ein vorwurfsvoller Ton und – Zack – fühlt man sich wieder für alles verantwortlich. Man entschuldigt sich und ist wieder mittendrin im Verderben, im Hamsterrad der Selbstzerfleischung.

Tut mir leid, ich wollte das jetzt nicht so überdramatisieren. Ich bin wirklich der schlimmste Mensch der Welt, jetzt haben die armen emotionalen Erpresser bestimmt ein furchtbar schlechtes Gewissen, weil sie Leuten mit chronischer Entschuldigeritis ein so schlechtes Gewissen machen und das ist alles nur meine Schuld und dabei haben die das doch auch nicht leicht.

Manchmal wäre ich schon ganz gerne ein bisschen bösartig. Nicht durch und durch wie so ein fieser Filmbösewicht, nur ein bisschen, gerade so eben, dass ich einem emotionalen Erpresser auch mal ganz skrupellos sagen kann, er solle doch bitte die Klappe halten. Hach, wär‘ das schön.

Und nun entschuldigt mich…

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6 Antworten to “Essai 77: Über chronische Entschuldigeritis und Rechtfertigungszwang”

  1. Essai 84: Über nervige Single-Männer und das, was Frauen wirklich wollen « Isa09's Weblog Says:

    […] noch ein Flirtratgeber. Ich muss mich im Vorfeld entschuldigen, möglicherweise wird das für die Männer nicht nur schmeichelhaft. Es ist aber nun mal so: Ich […]

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  2. Verena Says:

    Das kenne ich nur zu gut. Ich lasse mich auch immer emotional ausbeuten.. 😉

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    • Isabelle Dupuis Says:

      Bekommst du dann auch immer zu hören, du seist zu nett? Ich denke dann, was ist denn das, man kann doch nicht „zu nett“ sein, was sagt denn das über unsere Welt und unsere Gesellschaft aus, wenn „zu nett“ der schlimmste Vorwurf überhaupt ist? Oder auch „zu höflich“. Und dann finden sich alle ungemein witzig, wenn sie so Sprüche klopfen à la „Nett ist der kleine Bruder von Scheiße“ oder „Nette Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin“.
      Leider bin ich nicht zum Riesenarschloch geboren. Das würde vieles einfacher machen, wenn ich null Rücksicht auf niemanden nähme und auf die Gefühle meiner Mitmenschen pfiffe und einfach täte und ließe worauf ich gerade Lust habe. Aber dann käme ich mir wieder fies vor und würde wieder in die Rechtfertigungstretmühle abdriften 😉
      Vielleicht gibt es ja noch ein Zwischending, dass man nett und höflich und sich selbst einigermaßen treu und integer bleibt, ohne dass man deswegen belächelt und für einen Idioten gehalten wird… Vielleicht, wenn man die Nettigkeit mit einer gesunden Portion Hartnäckigkeit und Bestimmtheit kombiniert? Ich hatte da vor einer Ewigkeit schon mal einen Essai drüber geschrieben, aber auf jeden Fall ist das ein Thema, das noch lange nicht ‚ausgeforscht‘ ist. Meine Ermittlungen gehen weiter… 🙂

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  3. Essai 93: Über Entschuldigungen als Allzweckmittel nach dem Tritt ins Fettnäpfchen « Isa09 – Angry young woman Says:

    […] ihnen leid. Diese Art der Entschuldigung hat allerdings nichts mit dem zu tun, was ich in meinem Essai über chronische Entschuldigeritis und Rechtfertigungszwang beschrieben hatte. Das Verhalten, das ich dort meinte, beruhte darauf, dass einem die Dinge, für […]

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  4. Essai 110: Über emotionale Erpresser und Manipulatoren | Isa09 - Angry young woman Says:

    […] habe ich ja nur etwas über Frustableiter und Menschen mit chronischer Entschuldigeritis geschrieben, aber noch gar nichts über ihre Gegenspieler: Emotionale Erpresser und Manipulatoren. […]

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  5. Essai 138: Über Glaube, Leben und Tod | Isa09 - Angry young woman Says:

    […] auseinander und fühle mich irgendwie bemüßigt, mich zu erklären oder meine Ansichten zu rechtfertigen. Vermutlich kann man auch als unreligiöser Mensch, der es meidet, einem Club beizutreten, der […]

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