Essai 148: Über Idealismus und Naivität

Ich konnte es mal wieder nicht lassen und habe mich in den Kommentaren zu einem Blogbeitrag zum Thema Flüchtlinge mit Leuten gestritten, die ich für Flüchtlingsgegner hielt. (Den Beitrag von Erzählmirnix gibt’s hier) Im Wesentlichen hatte ich die Aussage „Warum soll man nichts gegen Kriminelle haben dürfen?“ eines Kommentators im Zusammenhang von Flüchtlingen so gedeutet, dass er allen Flüchtlingen pauschal unterstellt, kriminell zu sein. Da ist mir der Kragen geplatzt und ich wurde verhältnismäßig zickig, was mir jetzt im Nachhinein peinlich ist, weil ich normalerweise etwas überlegter handle. Der Kriminalitätsgegner durchschaute mich dann auch prompt und klatschte mir als Gegenargument vor die Füße, dass ich offenbar sehr emotional reagiere und äußerte die Vermutung, mir würden meine Gefühle einen Streich spielen. „Verdammt, erwischt!“, dachte ich und antwortete daraufhin entsprechend patzig und leider viel zu offensichtlich beleidigt. Ein solches trotziges Verhalten ist vollkommen kontraproduktiv, wenn man Leute von seinem Standpunkt überzeugen will. Da kann man auch gleich antworten: „Mimimi, selber doof!“ und die Zunge herausstrecken. Es verwundert also wenig, dass sich kurz darauf ein zweiter Kommentator einmischte, und mein Verhalten als „blöde“ abkanzelte.

Das Problem war, dass ich in der Tat für meinen Standpunkt „Flüchtlinge sind Menschen in Not und Menschen in Not brauchen Hilfe!“ keinerlei rationale Argumente vorzubringen wusste, sondern nur verzweifelt wiederholte, dass das doch wohl aus menschlich-ethischer Sicht selbstverständlich sei. Während also die beiden Herren mit (scheinbar) rationalen Gründen ihre Sichtweise untermauerten, stand ich da mit meinem moralischen Kompass, der wie verrückt ausschlug, und konnte nur emotionale Gründe vorbringen. Ich meinte, es gehe doch bei der ganzen Debatte auch um Nächstenliebe und um die Unschuldsvermutung, und das sei doch auch wichtig, oder? Nein, meinte derjenige, der mein Verhalten „blöde“ fand. Aber in dem Punkt bleibe ich dann doch anderer Meinung.

Lange Vorgeschichte, nun komme ich zum eigentlichen Thema dieses Essais, nämlich Naivität und Idealismus. Meine Ansicht ist und bleibt, dass Menschen in Not Hilfe brauchen, dass man sie nicht pauschal als zukünftige mögliche Kriminelle betrachten, sondern sie nach Kräften darin unterstützen sollte, sich möglichst schnell zu berappeln, zur Ruhe zu kommen und möglicherweise eine neue Heimat zu finden, dort arbeiten zu gehen und sich zu integrieren. Das wird anscheinend von manchen Leuten als emotionaler Unfug, als naives Geschwätz und dämlicher Idealismus abgetan. Sie wiederum halten sich für Realisten, weil sie überall nur das Schlechte in anderen Menschen sehen. Was ich im Gegenzug für defätistisch und nicht zielführend halte.

Was hat denn irgendjemand davon, wenn man alles negativ sieht, jedem Menschen erst einmal tiefes Misstrauen entgegenbringt und von vorneherein davon ausgeht, dass alle anderen nur Schlechtes im Sinn haben? Ab und zu hat man damit vielleicht zufällig ein bisschen recht. Die Aspekte, in denen man sich irrt und die die eigene Sichtweise eventuell infrage stellen könnten, weil sie zeigen, dass der pessimistische Standpunkt zu schwarzweiß gedacht ist und dass die Realität viel komplexer und facettenreicher ist, kann man ja ganz rational und unnaiv ignorieren. Dann passt es aus eigener Sicht wieder und die selbsterfüllende Prophezeiung wird subjektiv betrachtet wahr. Ansonsten nützt es gar nichts. Warum sollte man schließlich versuchen, die Welt ein wenig besser zu machen, wenn man davon ausgeht, dass das sowieso nichts bringt? In diesem Zusammenhang begegnet einem unter Flüchtlingsgegnern dann ja auch des Öfteren das (scheinbar rationale) Argument, wir (Deutschen) könnten ja nicht jeden (Flüchtling) aufnehmen. Nee, jeden nicht. Müssen wir ja auch gar nicht. Aber mit meiner naiven, idealistischen Einstellung, dass man sein Bestes geben sollte, um Menschen in Not zu helfen, nimmt man so viele auf, wie man kann. Nur weil man nicht allen helfen kann, soll man niemandem helfen? Das mag ja manchen „Realisten“ als logisch erscheinen, ich find’s unmenschlich, unethisch und arschig. Sorry, da bin ich wieder emotional geworden. Und das war jetzt pampiger Sarkasmus. Ach je, ich lern’s auch einfach nicht, ich Naivchen.

Ich verstehe nicht, warum Naivität immer mit Dummheit, Pessimismus und Defätismus mit Intelligenz synonym verstanden wird. Wenn es um Menschen geht, um Existenzen, um Leben, dann kann man da doch nicht damit umgehen wie mit Schuhkartons! „So, jetzt ist die Lagerhalle voll, jetzt passen keine Schuhkartons mehr hinein. Der Karton ist angeditscht, der kommt weg“, das ist bei Ware, bei Objekten, eine logische, sinnvolle Vorgehensweise. Aber wenn Menschen andere Menschen so betrachten, dann müsste eigentlich jeder moralisch anständige Mensch emotional werden und aufschreien! Das ist doch nicht dumm! Es ist gutgläubig, sicher, davon auszugehen, dass wenn die Mehrheit der Menschen sich gegen Ungerechtigkeiten ausspricht, sich möglicherweise nach und nach etwas an den Ungerechtigkeiten ändert. Ich weiß, ich bin eine hoffnungslose Idealistin, aber deswegen ist mein Standpunkt doch nicht bescheuert!

Man könnte jetzt natürlich einwenden, dass aus Idealismus Fanatismus werden kann. Die Gefahr besteht tatsächlich, wenn man aufhört, selbstkritisch zu sein und seine eigene Sichtweise zu reflektieren. Ab und zu leisen Zweifeln zu lauschen, ist ein gutes Gegengewicht zu übertriebenem Idealismus. Aber das ist ein anderes Thema.

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4 Antworten to “Essai 148: Über Idealismus und Naivität”

  1. moppelige Ninjakämpferin Says:

    Schau, es geht doch.

    > Ich verstehe nicht, warum Naivität immer mit Dummheit

    Ich würde an der Stelle zwischen mangelnder Bildung und mangelnder Intelligenz trennen. Naivität mag an mangelnder Bildung liegen, Dummheit hingegen ist für mich ein Begriff mangelnder Intelligenz. Was ich Dir unterstellt habe, war Blödheit – also trotz vorhandener Intelligenz sich von seiner Ideologie davon abhalten zu lassen, was an seiner (vorgegebenen) Naivität zu ändern.

    Zum Thema: Eine volle Lagerhalle bleibt auch dann voll, wenn alle aussprechen, dass sie nicht voll ist. Der intelligentere Ansatz wäre, eine neue Lagerhalle zu bauen – oder, wenn dafür kein Platz oder Geld da ist, die alte auszumisten.

    Um in Deiner etwas seltsamen Metapher zu bleiben: Die wenigsten Leute haben ein Problem damit, wenn im Industriegebiet ein neues Amazon-Versandzentrum gebaut wird. Die meisten hätten hingegen ein Problem mit einem Atommüll-Endlager. Wie auch mit einem Amazon-Versandzentrum, in dem Atommüll gelagert wird. Es ist keine Lösung, da so zu tun, als gäbe es keinen Atommüll oder sich über diesen sehr metaphorischen Vergleich zu echauffieren oder zu sagen, der wäre ja nur leicht radioaktiv.

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    • Isabelle Dupuis Says:

      Ich denke, Naivität kann, muss aber nicht auf mangelnde Bildung zurückzuführen sein. Naivität ist ja in erster Linie Gutgläubigkeit, also ein unerschütterliches Vertrauen an das Gute im Menschen und in der Welt. Das hat glaube ich mehr damit zu tun, was man für Erfahrungen gemacht hat und wie man generell so drauf ist: optimistisch oder pessimistisch. Wenn man eher pessimistisch ist, dann ist man in der Regel nicht naiv, Bildung hin oder her. Ein Optimist ist da eher naiv, auch wenn er gebildet ist, da kann ich mich gleich mal als Beispiel nehmen 😉

      OK, das mit der Blödheit hatte ich dann tatsächlich als Dummheit missverstanden 🙂 Nichtsdestoweniger ist mir nicht ganz klar, warum ich meine Naivität – im Sinne eines gewissen Urvertrauens – ablegen oder ändern sollte, es ist ja nicht so, dass ich unrecht hätte. Ich sehe menschliche Schicksale bloß aus einem menschlichen Standpunkt aus und nicht aus einem abgeklärten, zynischen Standpunkt aus. Das kann man belächeln und albern finden und sich über diese Naivität amüsieren oder denken: „Ach, Gottchen, wie putzig, willst du nen Keks?“, aber ich denke, Menschen wie Menschen zu betrachten und zu behandeln, ist irgendwie angebracht.

      Diese unterschiedlichen Standpunkte wollte ich mit meiner Metapher verdeutlichen. Klar, wenn kein Platz mehr ist, muss neuer geschaffen werden, das ist mir selbstverständlich bewusst. Gerade deswegen ist es ja auch so unfassbar dämlich von Leuten, wenn sie Flüchtlingsunterkünfte abfackeln. Ich frage mich, ob sie das auch täten, wenn sie etwas mehr Naivität besäßen. Ich denke nicht. Deine Metapher mit dem Amazon-Versandzentrum und dem Atommüll-Endlager hinkt meines Erachtens gewaltig. Für wen steht denn der Atommüll in dem Gleichnis? Das könnte man glatt in den falschen Hals bekommen, wenn man etwas pessimistisch drauf wäre, anstatt ein kleines bisschen zu naiv 🙂

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  2. Michaela Lusru Says:

    @Isa09 Angry young woman

    Nun, Isa09, auch ich hab hergefunden, obwohl ich nicht wollte (es sah mir etwas naiv aus, mehr der lange link-„Name“).
    Du übst dich eventuell etwas in Naivität, aber weder mit Blödheit noch Intelligenz hat das etwas zu tun.
    Naivität ist eine vom Willen gesteuerte Haltung, und dieser kann sowohl mit Unmengen an Blödheit oder mit Riesenladungen an Itelligenz, ja sogtar mit beidem zusammen gleichzeitig hantieren – was haben wir da nicht schon alles erlebt, auch die Rolle des Bauchgefühls dabei war wohl nie als gesunde Sicherheitseinrichtung von Mensch zu unterschätzen.

    Idealismus ist grundsätzlich naiv, da er alles außerhalb der eigenen Ideale ausschließt aus den Realitäten, die zur Debatte stehen.
    Idealismus ist der verfälschende Verrat an den eigenen Idealen, weil diese damit aus der realen Welt gehoben und an bodenlosen Wolken plaziert werden, ist die Persiflage der eigenen Ideale.

    All das hat mit Bildung, intelligenter Veranlagung oder fehlender Klugheit bzw. Pfiffigkeit nichts zu tun – denn es kommt auch bei denen vor, die über das alles im Übermaß verfügen.

    Naivität ist eine Fähigkeit, keine Dummheit.
    Und wie jede Fähigkeit ist sie seegensreich (z,B. beim Herstellen zuvor unüberbrückbarer Kontakte und von neuen Bekanntschaften), oder eben schadenbringend einsetzbar, und erst das läßt sich beeinflussen von Wissen, KLugheit und geübter Weitsicht.

    So betrachtet, spielt wohl die Absicht die größere Rolle, wenn es um Naivität geht, das Anliegen.

    In diesem Kontext finde ich, naiv hin oder her, Isa09 liebenswürdig und am reechten Platz, und damit auch das „recht“ verstanden wird: am „richtigen“ Platz,
    auch, wenn deine eigene Einordnung der Begriffe Idealismus und Naivität sowie eine Fülle von allgemein pauschalisierenden Verwendungen dir auch aus dieser Sicht eine gewisse Naivität in der Art von Vereinfachungen schon zugestehen muß.

    Mach dir nix daraus, auch Isabelle Dupuis kriegt das nicht besser hin:
    – “ Naivität ist Gutgläubigkeit“ – nein, wissentliche gewollte weil bevorzugte Gutgläubigkeit
    – „Wenn man eher pessimistisch ist, dann ist man in der Regel nicht naiv“ – pure unbewiesene und pauschalisierende Behauptung, gerade Pessimisten strotzen oft vor ihrer eigenen Naivität
    – „Ich sehe menschliche Schicksale bloß aus einem menschlichen Standpunkt aus und nicht aus einem abgeklärten, zynischen Standpunkt aus“ – als ob nun jeder „abgeklärte“ Standpunkt ein „zynischer“ sei, was Quatsch ist, es gibt auch Zynismus, weil eben nichts „abgeklärt“ ist, und das ist oft nicht nur der größere sondern auch der schädliche weil unbelehrbare
    – “ Gerade deswegen ist es ja auch so unfassbar dämlich von Leuten, wenn sie Flüchtlingsunterkünfte abfackeln.“ – das, verehrte Isabelle, ist naiv! Nein, es ist nicht „dämlich“ sondern strafbar, ist Kriminalität. Dämlichkeit hingegen ist keine strafbare Handlung.

    Sorry Isabelle, das ändert jedoch nichts daran, daß ich diese deine Meinung teile, weil ich auf diese meine Naivität leider weder verzichten kann noch will:
    „Ich denke, Naivität kann, muss aber nicht auf mangelnde Bildung zurückzuführen sein. Naivität ist ja in erster Linie Gutgläubigkeit, also ein unerschütterliches Vertrauen an das Gute im Menschen“,
    allerdings mit dem wesentlichen Zusatz: Naivität ist lange vor der Gutgläubigkeit eine gehörige Portion GUTWILLIGKEIT, da wir ohne dieser sofort wieder beim Idealismus landen.

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