Essai 66: Über das vorurteilsbedingte Zurechtbiegen nichtssagender Sachverhalte

Ich bin mal wieder fündig geworden. In der Zeitung. Die ist fürwahr ein nichtversiegender Quell typisch menschlichen (grenzdebilen) Gebahrens. Heute möchte ich mal einen Artikel über die Schließung einer Moschee zum Anlass nehmen, mir die menschliche Eigenart vorzuknöpfen, jedes noch so nichtssagende Detail so zurechtzubiegen, dass es irgendwie ins eigene Weltkonzept passt, das man sich zusammengebastelt hat und aus welchem man seine Vorurteile speist.

Es geht um die Moschee, in der sich die Hamburger Attentäter vom 11. September häufiger getroffen haben. Nach jahrelanger Untersuchung steht jetzt fast fest, dass mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit in besagter Moschee „religiöse Fanatiker herangezüchtet“ worden sein sollen. Ob das nun stimmt oder nicht, will ich hier nicht weiter debattieren. Ich habe nämlich nicht die leiseste Ahnung, ob das stimmt oder nicht. Kann ich auch gar nicht wissen. Das ist auch egal, denn was mich interessiert, ist die Wirkung dieser – meiner Meinung nach sozial ungeschickten – Aktion.

In dem Artikel kamen nämlich die Nachbarn der Moschee zu Wort und die waren äußerst erleichtert über die Schließung (laut Artikel). „Die leben in ihrer eigenen Welt“ posaunte einem schon der Titel entgegen. Gesagt habe das ein Nachbar, der „aus Furcht anonym bleiben will“. Der verängstigte Nachbar weiß außerdem, dass „die“ (dem Artikel zufolge sind „die“, die Moschee-Besucher) sich „bewusst ausgegrenzt“ hätten. Begründung: „Für die deutsche Gesellschaft hatten die nur Verachtung übrig“. Beweis: „Das hat man gemerkt.“

Peng. Was soll man bloß gegen dieses hieb- und stichfeste Argument einwenden?

Aber es geht noch hanebüchener. Passt mal auf. Der furchtsame Anonyme fährt nämlich fort, dass bärtige, vermummte junge Männer bis spät in die Nacht vor der Moschee gestanden hätten, was „natürlich Unbehagen“ wecke. Schließlich sei er sich ja darüber im Klaren, was für „Verbindungen“ den „Leuten in der Moschee nachgesagt“ würden. Ja, sogar der Bundesnachrichtendienst sei dort „Dauergast“ gewesen, und das „spricht wohl Bände“. Unser anonymer Hasenfuß ist mit seinem Wissen nicht alleine. Weitere Nachbarn bewerteten die Besucher der Moschee als – jetzt kommt’s – auffällig unauffällig. Zum Beispiel seien die Gebete bis auf die Straße zu hören gewesen. Also, wenn die Fenster offen standen. Und das „klang […] schon merkwürdig“, stellt ein Nachbar fest, vor allem angesichts dessen, was den Moschee-Besuchern nachgesagt werde. Ansonsten habe er sich aber um seinen Kram gekümmert, und „die“ sich um ihren.

Ich kann mich einfach nicht des Eindrucks erwehren, dass auch der Autor des Artikels sich Nichtigkeiten so zurechtgebogen hat, wie es in seine vorgefertigten Meinungen passte. Jedenfalls macht er sich nicht die Mühe, diesen Quatsch zu entkräften. Dabei wäre es ein leichtes.
Nehmen wir zum Beispiel den Beweis von anonymer Feigling Nr. 1, „das hat man gemerkt“. Mit ein paar kleinen Gegenfragen kann man diese Art von Totschlagargumenten in der Luft verpuffen lassen: „Woran?“, „Wie kommen Sie darauf?“, „Können Sie ein Beispiel nennen?“, „Aber etwas Konkretes wissen Sie nicht?“, „Also was denn nun, vermummt oder bärtig?“, „Was hat denn nun auch noch der Bundesnachrichtendienst damit zu tun“, „Finden Sie nicht, dass Ihre Aussagen etwas – nun ja – paranoid anmuten?“ etc.

Oder der, der sich angeblich immer nur um seinen eigenen Kram gekümmert habe. Hat er ja nun ganz offensichtlich nicht. Sonst hätte er die Gebete, die „schon merkwürdig klangen“, gar nicht mitbekommen.

Ich hatte weiter oben erwähnt, dass ich diese Aktion als sozial ungeschickt erachte. Auf diese Art und Weise füttert, ja mästet, man die Vorurteile derer, die Fremdem gegenüber sowieso schon skeptisch sind. Außerdem füttert, ja mästet, diese Art der Berichterstattung die Vorurteile derer, die ohnehin schon skeptisch gegenüber der „deutschen Gesellschaft“ sind. Wie soll denn so jemals ein offener Dialog zustande kommen? Jeder fühlt sich in seiner wie auch immer gearteten Meinung bestätigt, die er sich schon lange vorher gebildet hatte. Und jeder ist der Meinung, Recht zu haben. Und leider ist das den meisten Menschen wichtiger als alles andere.

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6 Antworten to “Essai 66: Über das vorurteilsbedingte Zurechtbiegen nichtssagender Sachverhalte”

  1. dieblaueneu Says:

    Der Koran und die auf ihm fußende muselmanische Gesetzgebung reduzieren Geographie und Ethnographie der verschiedenen Völker auf die einfache und bequeme Zweiteilung in Gläubige und Ungläubige. Der Ungläubige ist ‚harby‘, d.h. der Feind. Der Islam ächtet die Nation der Ungläubigen und schafft einen Zustand permanenter Feindschaft zwischen Muselmanen und Ungläubigen.“ – Karl Marx, Die Kriegserklärung –

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    • Isabelle Dupuis Says:

      Aha. Lass ich mal so stehen.

      *Gnnnn* Nein, ich schaff’s nicht, Sorry. Mag ja sein, dass Karl Marx das mal so gesagt hat. Aber, woher hatte er sein Wissen? Woher weiß er, dass das nur im Islam so ist? Sagt er das überhaupt? In welchem Zusammenhang steht das Zitat? In welchem Kontext hat er das von sich gegeben? Und nicht zuletzt: Nur weil das einer gesagt hat, der berühmt ist, heißt das nicht, dass das DIE Wahrheit ist. Sicher ist das eine Sichtweise auf die Realität, eine mögliche Interpretation gegebener Tatsachen. Aber es gibt immer jemanden, der eine andere Interpretation, eine andere Sichtweise hat. Woher weiß man, welche Interpretation richtiger, wahrer ist? Und gibt es das überhaupt? Oder sind nicht alle Interpretationen gleichermaßen daseinsberechtigt?

      Insofern ist meine Wenigkeit immer ganz vorsichtig wenn es darum geht, einen Lebensentwurf als „falscher“ zu betrachten, als einen anderen. Und Religion ist nichts weiter, als eine Art von Lebensentwurf.

      Auf jeden Fall vielen Dank für diese prompte Veranschaulichung dessen, was ich in meinem Essai zu kritisieren suchte 😉

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  2. Andi Says:

    Ok. Wenn du schon derartige Artikel entkräften willst, dann leg doch bitte einen Link zum Original dazu, damit sich jeder zu deiner Essai ein wiederum objektive Gedanken machen kann. Sonst bleibt das auch nur Hörensagen.
    Am besten gehst du dann auch noch öfter in der Ecke vorbei und sprichst vielleicht selbst mit den Leuten dort.
    Damit will ich die Zwangsschließung der Taiban Moschee (huch da sind mir Fakten rausgerutscht) nicht billigen – aber entweder du nimmst einen derartigen Artikel richtig unter die Lupe oder lass es einfach. Wie du zu deiner Meinung kommst ist übrigens auch nicht klar.

    Ich finde solche Debatten brauchen eine intensivere Herangehensweise, wenn man sich dazu äußern will – es geht ja nicht darum, ob wir im Alsterpark Primeln oder Rosen pflanzen sollten.

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    • Isabelle Dupuis Says:

      OK, das ist ein Punkt. Hier ist der Link zum Original-Artikel: http://www.abendblatt.de/hamburg/article1594253/Die-leben-in-ihrer-eigenen-Welt.html Man muss nur leider einen Zugang haben, um ihn lesen zu können.

      Ich habe das Gefühl, es ist nicht klar geworden, dass ich hier keine religiöse Debatte anstoßen wollte, sondern den Artikel über die Schließung der Moschee nur als Aufhänger genommen habe, um über die menschliche Eigenart zu schreiben, sich Sachverhalte so zurechtzubiegen, dass sie in die eigenen Vorurteile passen. Das machen wir alle, mal mehr, mal weniger subtil. Und meistens unbewusst. Das ist in dem Artikel einfach besonders deutlich geworden. Die Zitate, die ich genannt habe, stammen übrigens alle direkt aus dem Artikel. Zum Beispiel die Argumentation „Das hat man gemerkt“, etc.

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  3. Andi Says:

    Man kann den Artikel übrigens kostenlos lesen, wenn man nach der Schlagzeile über Google-News sucht.

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    • Isabelle Dupuis Says:

      Ach so, cool. Ich hatte sonst schon überlegt, ob ich den Text hier abtippen kann. Aber da hätte ich nicht gewusst, wie das urheberrechtlich erlaubt ist.
      Hast du den Artikel gelesen? Wenn ja, was ist deine Meinung zu dieser Art von Berichterstattung? Hilft das Vorurteile in Frage zu stellen, vielleicht sogar abzubauen? Oder werden dadurch Vorurteile (auf allen Seiten) nicht eher verstärkt?
      Ich persönlich finde, es ist eher letzteres. Sowohl die Vorurteile gegen Moslems werden verstärkt, wenn man genauso denkt, wie die Nachbarn in dem Artikel dargestellt werden, als auch die Vorurteile gegen solche Nachbarn, wenn man gerade nicht so denkt. Und die Vorurteile gegenüber der Darstellung solcher Themen in den eher konservativ geprägten Medien werden auch nicht gerade abgebaut (in dem Bereich bewegt sich dann zum Beispiel meine eigene Voreingenommenheit).
      Ich habe unseren Marx-Zitierer vielleicht ein bisschen arrogant abgekanzelt. Mich nervt’s bloß, wenn Leute sich hinter Zitaten verstecken und überhaupt nichts Eigenständiges dazu bringen, wie sie diese Zitate verstehen, was sie damit bezwecken, etc. Da macht man sich das meiner Meinung nach etwas zu einfach. Und es ist meiner Meinung nach auch so, dass, wenn man jemanden Berühmtes zitiert anstatt seine eigene Ansicht darzulegen, man sich damit den Anschein von Objektivität, Seriosität und Wissenschaftlichkeit geben möchte, damit das nicht so aussieht, als sei die eigene Meinung auf einem Haufen Vorurteile gegründet. Das erscheint mir wiederum als scheinheilig.
      Natürlich muss man auch den Kontext berücksichtigen. In einer wissenschaftlichen Examensarbeit o.Ä. ist eine gewisse Objektivität unabdingbar. Nichtsdestotrotz sollte man da auch das Zitat in einen Kontext stellen und nicht einfach unkommentiert in der Gegend herumstehen lassen.
      Aber in einem Blog oder einem Internet-Forum kann man ruhig auch mal etwas subjektiver seine Meinung zum Besten geben.

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